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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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Hast du gelesen, was ich dir an Text geschickt habe?«
     
    »Ja, habe ich. Mir gefällt dein Ansatz. Diese Frage nach dem Leben der beiden Opfer, die völlig unbemerkt verschwinden konnten und die niemand vermisst, kommt sonst in der Berichterstattung auffallend zu kurz. Und auch der Hunger der Medien nach dem Schrecklichen ist ein guter Punkt.« Mir hatte ihr Text eine ganz neue Perspektive auf die Ereignisse eröffnet und ich musste feststellen, dass auch ich meist wie hypnotisiert auf den Täter gestarrt hatte, ohne wirklich über die Opfer nachzudenken.
     
    »Da verschwinden zwei alte Männer und kein Mensch bemerkt es. Es gibt keine Familien, die nach ihnen suchen, keine Nachbarn, die etwas bemerken, es gibt nichts. Und der Täter? Wissen wir überhaupt, ob es da eine Tat gab? Vielleicht ist das Ganze eine Art Hilfeschrei. Diese Rose, dieser Rilke-Text, das hat doch nichts wirklich Bedrohliches, das wirkt doch viel eher verzweifelt.« Sie setzte sich an meinen großen Tisch, den ich bis 14.55 Uhr drei Mal neu gedeckt hatte.
     
    »Wo ist da die Grenze?« Ich nahm den viel zu großen Obstsalat aus dem Kühlschrank und holte das Eis aus dem Tiefkühlfach. Sie sah mir nachdenklich zu. »Das ist eine gute Frage.«
     
    »Die ich, vor allem nachts, auf keinen Fall zu beantworten versuche.«
     
    »Schläfst du auch so schlecht?« Sie drehte wieder an dem Armband, das ich jetzt auch am Arm trug.
     
    »Ich weiß gar nicht, ob ich das schlafen nennen will. Ich überbrücke die Nacht, trifft es besser. Ich will nicht glauben, dass diese Sache etwas mit mir zu tun hat, aber der Gedanke lässt mir auch keine Ruhe.« Warum sagte ich ihr lauter Sachen, die ich Baby und meiner Mutter verschwieg?
     
    »Geht mir genauso. Ich meine, das mit der Ruhelosigkeit und den Gedanken. Ich bin sehr froh, dass ich bei Markus bleiben kann und ihn mit meinen nächtlichen Spaziergängen nicht nerve. Ich war schon seit Tagen nicht mehr allein in meiner Wohnung.«
     
    »Meinst du, es würde ihn stören, wenn ich auch noch bei ihm übernachte?« Der Schmerz hatte mich ungedeckt an der Flanke erwischt und ich zuckte zusammen. Also zog ich meinen Schutzwall aus soliden Scherzen hoch und trug die Schälchen mit dem Obstsalat und dem Eis zum Tisch.
     
    »Ich kann ihn fragen. Mich würde es nicht stören. Du könntest mich auf meinen Wanderungen durchs Wohnzimmer begleiten. Alles was du brauchst, ist festes Schuhwerk, es gibt da ein paar bemerkenswert tiefe Unebenheiten in seinem Parkett.« Sie lächelte wieder mit diesem offenen Blick, der mir schon am Gasometer zu gut gefallen hatte. Dann nahm sie einen Löffel Eis und Obst und deutete damit auf die Flecken an der Wand und das Gedicht im Flur. »Anderes Thema! Darf ich fragen, was passiert ist?«
     
    »Liebe.«
     
    Sie nickte. »Jemand hat dir das Herz gebrochen?«
     
    »Wie kommst du darauf?« Sie war die Erste, die meine Mischung aus demonstrativer Poesie und unregelmäßig belichteter Wand in Verbindung brachte. Allerdings bat ich auch nicht übertrieben viele Leute in unser Haus.
     
    »Nun ja, deine Wohnung ist geschmackvoll und mit viel Sinn für Schönheit eingerichtet. Alles hat seinen Platz, ist einfallsreich und fröhlich. Und dann kommt das Gedicht und springt einen an. Ich vermute weiterhin, dass du eine Erinnerung an die Bilder, die dort gehangen haben, bewahren möchtest, sie aber nicht mehr sehen willst. Würdest du dich nicht erinnern wollen, hättest du dafür gesorgt, dass die Stellen nicht mehr zu sehen sind.«
     
    Ihre Analyse war klar und schnörkellos. Ich war beeindruckt und fühlte mich ertappt. »Richtig kombiniert, Herr Holmes. Jemand hat mir das Herz gesprengt.«
     
    »Wie lange ist das her?«
     
    »Acht Jahre.«
     
    »Und du möchtest immer noch täglich daran erinnert werden?« Touche!
     
    Sie sprach aus, was Babys Blicke bei jedem Besuch sagten.
     
    »Ich will daran erinnert werden, vorsichtig zu sein.« Nie war dieser Vorsatz so wertvoll wie heute.
     
    Irene sah mich an, als könnte sie den Rest der Geschichte in meinen Augen lesen, und ich stellte ihn ihr willenlos zur Verfügung.
     
    »Große Liebe?«
     
    Ich nickte. »Für mich schon.«
     
    »Und du hattest das Ende nicht kommen sehen?«
     
    »Sagen wir mal so: Die Nebenwirkungen dieser speziellen Liebe waren so fett gedruckt, dass ich sie wohl als Einzige nicht lesen konnte.«
     
    »Lass mich raten. Er hatte eine andere Frau?« Sie nahm noch einen großen Löffel und ich folgte einer mit

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