Herz und Fuß
einsilbig sein und ich verstand, dass sie lieber über die Liebe als über den Tod reden wollte, aber ihr Interesse machte mich glücklich und das wollte ich nicht. Und was sollte ich ihr auch über die letzten Jahre erzählen? Ich hatte mich genau zwei Mal mit Frauen verabredet und bei beiden Verabredungen das gleiche Gefühl gehabt. So als wären wir gar nicht wirklich zwei Personen, die sich miteinander trafen, sondern Teil einer großen Menge Menschen, die sich versammelt hatten, um auf ein lang ersehntes Konzert zu warten. Wir hatten erwartungsfroh und fremd nebeneinander gesessen, aber die Erwartung hatte uns nicht gegenseitig gegolten. Und wie die erwartungsfrohe Menge in großen Stadien, hatten wir nichts Wirkliches miteinander anzufangen gewusst. Da das Warten auf das ferne schöne Ereignis in beiden Fällen lang geworden war, hatten wir mit dem Gesprächsäquivalent einer Welle begonnen, einer Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, und waren kurzfristig begeistert darüber gewesen, dass wir etwas miteinander tun konnten. Dann war die Welle einige Male durchs Stadion und unser Gespräch gelaufen und wir hatten erkannt, dass das leider auch das Einzige war, das wir gemeinsam hatten. Also waren wir wieder still geworden und hatten weiter nebeneinander auf den Hauptakt gewartet.
Die Kellnerin stellte zwei hoch aufgetürmte Salatkreationen auf den Tisch und erkannte mich, als ich sie nach dem Salzstreuer fragte.
Ihre Stimme überschlug sich. »Sie sind die Frau mit dem Fuß, oder? Haben Sie schon gehört, dass die heute wieder einen gefunden haben? Das ist ein Serienmörder! Bestimmt! In der Zeitung steht, es ist vielleicht jemand, den Sie kennen.« Sie schaute sich suchend um und sagte laut: »Ich habe gelesen, dass Sie unter Polizeischutz stehen.«
Irene griff quer über den Tisch nach der Hand der aufgeregten jungen Frau und zog sie mit festem Griff näher. Ihre Stimme klang wie das gespielte Flüstern in Filmen. »Kein Aufsehen, ich bin vom Geheimdienst und bewaffnet. Agentin Mulder.« Sie deutete auf ihren Hosenbund, an dem sich meines Wissens nichts anderes als ein Gürtel befand. »Ich sorge für ihren Schutz. Wenn ihnen etwas auffällt, melden Sie sich bitte sofort bei mir, ich fordere dann Luftunterstützung an.«
Die Kellnerin wich erschrocken und tief beeindruckt zurück und eilte nach einer kurzen Versicherung ihrer absoluten Aufmerksamkeit zur Theke.
Wir schafften es, erst in lautes Gelächter auszubrechen, als sie mit einer neuen Bestellung in einem anderen Teil des Gartens verschwand. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so gelacht hatte. Immer wieder schnappte ich nach Luft und wollte aufhören, aber dann sah ich in Irenes Augen, aus denen Lachtränen liefen, und eine neue Welle überkam mich. »Luftunterstützung, Agentin Mulder? Wolltest du den Biergarten bombardieren lassen?« Ich trocknete mir die Augen mit der Serviette.
»Nur im äußersten Notfall. Ich hatte eher an eine Evakuierung per Helikopter gedacht.«
»Viel wahrscheinlicher!« Ich warf eine kleine Kirschtomate aus meinem Salat nach ihr. Sie fing sie auf und steckte sie sich in den Mund. Ich aß den Rest der kleinen Tomaten sehr schnell, weil ich ihnen ein ähnliches Schicksal missgönnte.
Als wir wieder vor meiner Haustür standen, lehnte sie sich ohne Zögern zu mir herüber und drückte mich zum Abschied fest an sich. Ich fühlte ihren warmen Körper in ganzer Länge an meinem und ein vergessenes Gefühl, das ganz ohne Worte auskam, floss durch meine Blutbahnen. Ich löste mich vorsichtig von ihr und sagte: »Kann sein, dass ich morgen mehr über den neuen Fund weiß. Ich rufe dich dann an.«
»Mach das. Und schlaf gut. Und wenn du nicht gut schläfst, ruf mich an. Ich habe beschlossen, heute mal eine Nacht in meiner Wohnung zu verbringen.«
Wunderbare Idee. Wenn es nach mir ginge, würde in der nächsten Apotheken-Umschau ein Bericht auf die heilende Wirkung der eigenen Wohnung in Krisenzeiten hinweisen. Und wie wichtig es war, dass man in solchen Fällen allein schlief.
»Schlaf du auch gut.« Ich winkte ihrem Auto absichtlich nicht hinterher.
ErzEngel empfing mich
an der offenen Haustür und zog mich wortlos in ihre Wohnung. Dort lief sie im Wohnzimmer auf und ab, während ich wie eine dorische Säule neben der Tür stand und ihr nur mit den Augen folgte. Ich wusste, dass sie manchmal schwere Nächte hatte, in denen sie nicht schlief, und
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