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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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du?« Sie flüsterte in die Dunkelheit und ich tastete aus dem Schatten nach ihrer Hand. »Hier!«
     
    »Bist du sicher, dass das hier eine gute Idee ist?« Sie klang ängstlich und auch ich war überrascht, wie sehr mich die Dunkelheit auf diesem eigentlich vertrauten Weg verunsicherte. Die ungezogene Flora, die gar nicht daran dachte, den Weg für nächtliche Spaziergängerinnen freizuhalten, sondern ganz im Gegenteil eifrig damit beschäftigt war, die Spuren menschlicher Füße zu überdecken, tat ihr Übriges. Wann war ich das letzte Mal in der Nacht hier entlanggegangen? Das war schon sehr lange her.
     
    Ich bemühte mich, sicher zu klingen. »Das ist sogar eine sehr gute Idee! Hier ist doch kein Mensch und ich kann doch jetzt nicht damit anfangen, Angst zu haben, in der Nacht vor die Tür zu gehen.«
     
    »Du könntest aber mit etwas belebteren Gegenden anfangen.«
     
    »Ich habe doch Agentin Mulder dabei.«
     
    Das schien sie zwar nicht völlig zu überzeugen, aber sie folgte mir. Auf dem ganzen, dunklen Pfad zum Rhein hielt ich ihre Hand und so schlichen wir vorsichtig dem großen Fluss entgegen. Immer wieder hakten Dornenranken sich in unsere nackten Arme und es raschelte in den Gebüschen, wenn wir vorbeigingen. Meine Angst schluckte die Geräusche begierlich und nahm sofort zu. Ich hielt der Angst innerlich den Mund zu, damit sie keine Nahrung fand. Bestimmt waren das nur kleine Nachttiere, die von uns gestört in den Wiesen verschwanden. Es knackte laut, etwas weiter vorne auf dem Weg, lauter und bedeutungsvoller, so als zerbräche ein morscher Ast unter einem schweren Schuh. Irenes Hand zuckte. Ich versuchte mit meinen Augen die Dunkelheit zu durchdringen, sah aber nur noch mehr Schatten. Wo war eigentlich dieser eingebildete Mond, wenn man ihn mal für praktische Zwecke brauchte. Ich spähte nach oben, aber der Kosmos hatte einen Wolkenvorhang zugezogen und keinen einzigen Lichtstrahl für uns übrig. Na, prima. Über uns ein expandierendes Universum mit Milliarden von Sternen und Sonnen und lauter hellen Dingen und wir konnten hier unten sehen, wie wir durch die Brombeeren kamen. Es knackte wieder, diesmal näher. Wir blieben stehen. Und wenn es keine Nachttiere waren? Wenn er, der mich mit toten Füßen verfolgte, hier im Schutze der Dunkelheit auf mich gewartet hatte? All die Nächte hindurch gewartet, auf den Moment, in dem ich allein zum Rhein ging. Hier würde uns niemand hören, Ziemanns waren ja in Italien. Ich griff nach einem hellen Stock, der am Boden lag, und wollte ihn hochheben, aber er war eigentlich kein Stock, sondern ein riesiger Ast und viel länger und schwerer, als ich hatte sehen können. Das belaubte dunkle Ende blieb laut raschelnd in einer Hecke hängen und ich kippte bedrohlich nach vorne. Ein kleiner Raubvogel erhob sich dicht neben uns von einem Baumstumpf am Wegesrand und schrie einmal warnend auf, bevor er in der Nacht verschwand. Ich riss mich zurück auf den Weg, ließ den Ast los und schrie auch. Dann schrie Irene und dann wieder der Vogel, allerdings aus großer Höhe. Es wurde still, so still wie es nur auf einem stockdunklen Trampelpfad in einer unbesternten Sommernacht werden kann. Meine Galle schlug bis zum Hals und Irene zerquetschte mir fast die Hand. Die Hecken freuten sich, dass wir uns ihrer Art zu leben so plötzlich anschlossen und streckten zärtlich ihre Dornen aus.
     
    »Ganz schön gruselig, oder?« Ich drängte die Panik zurück und lächelte sie an. Bei dieser Beleuchtung konnte ich nur hoffen, dass sie es sehen konnte.
     
    »Ja«. Sie klang nicht besonders gut. Ich musste etwas unternehmen, schließlich war dieser Ausflug meine Idee gewesen. Ich stupste sie verschwörerisch an. »Hier habe ich als Kind meine erste Mutprobe bestanden. Mehrere der Jungen in der Straße hatten gewettet, dass ich mich nicht traue, nachts allein zum Rhein zu gehen und vom Ufer einen Stein zu holen. Der Stein liegt heute noch in meinem Badezimmer auf einem Regal.« Ich klang stolzer, als ich beabsichtigt hatte.
     
    »Natürlich liegt er da.« Sie lachte erleichtert und wir gingen weiter.
     
    Vor uns tauchte endlich die schmale Mündung der Emscher in den Rhein auf, in der über Tag Schwäne im weiß schäumenden Wasser nach Futter suchten. Jetzt schliefen sie und die Enten friedlich unter einer Fußgängerbrücke. Hier am Wasser war es heller. Einige Gänse lagen weiter vom Ufer entfernt in der Wiese und ihre langen Hälse streckten sich immer wieder wachsam aus dem

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