Herz und Fuß
nahm an, dass das heute eine war.
»Alles in Ordnung mit dir?« Meine Stimme unterbrach ihre sorgsamen Schleifen um den Wohnzimmertisch und einen Sessel und sie blieb so überrascht stehen, als wäre ich wirklich eine sprechende Säule.
»Mit mir ist alles in Ordnung.« Sie kam zu mir herüber, legte mir kurz die Hand auf die Schulter und schielte mit einem Auge zu ihrem Laptop, auf dem ein Bildschirmschoner jeden Blick auf die aufgerufene Seite verhinderte. »Hattest du einen schönen Abend?«
»Ja, sehr schön. Irene ist sehr nett und es hat mich irgendwie auch erleichtert, dass der neue Fund eindeutig nichts mit mir zu tun hatte. Auch wenn ich ja wusste, dass es zwischen mir und diesem Wahnsinn keinen Zusammenhang gibt. Du hast doch schon von dem neuen Fuß gehört?«
ErzEngel verschwand in der Küche und kam mit einem Glas Milch in der Hand zurück. »Ja, ich habe davon gehört.« Sie schlürfte die eiskalte Milch in kleinen Schlucken aus dem beschlagenen Glas.
»Und? Bist du nicht auch beruhigt?«
»Sie ist also nett, diese Irene?«
»Sehr nett und verlobt, falls du mehr wissen möchtest. Sie heiratet in ein paar Wochen.« Meine Stimme machte beim letzten Satz einen kleinen unschönen Ton, den ein winziges Stechen in meinem Magen veranlasst hatte.
»Wie schade.« Meine Mutter trank die Milch in einem Zug aus.
»Willst du mir nicht sagen, was los ist?«
»Ich will, dass du glücklich bist!« Sie umklammerte das kalte Glas so fest, dass die Adern auf ihrem Handrücken hervortraten.
»Ich bin nicht unglücklich.« Da war das Stechen wieder, dieses Mal länger.
»Das ist ein Unterschied!«
Sie hatte recht, natürlich hatte sie recht. »Aber deshalb hast du mich doch jetzt nicht gerufen, oder?«
»Nein«, sagte sie traurig und zog mich zum Laptop und vor den Bildschirm. Dort stellte sie das Glas vorsichtig ab und ihre Hand schwebte einen Moment über der Tastatur, bevor sie eine Taste drückte.
»Da!« Sie deutete in einen Text, der mit der Bleistiftzeichnung eines alten Zechengebäudes unterlegt war.
»Was da?«
Sie sah mich mit der Ungeduld der digitalen Eingeborenen an und hob einen Satz mit ein paar schnellen Klicks hervor. »Da!«
Ich las. »Die Zeche Charlotte existierte als Stollenbetrieb in Burgaltendorf bereits seit dem achtzehnten Jahrhundert. 1785 entstand sie am Berghang von Burgaltendorf nach der Ruhr herunter (heutiger Charlottenberg).« Und setzte mich neben meine Mutter auf den alten Stuhl am Fenster. Sie sah mich traurig an. Mir wurde ein wenig übel.
»Der Fundort von heute. Die Polizei hat es schon recherchiert und ist nun ganz sicher, dass die Morde mit dir zu tun haben. Es ist übrigens kein neuer Toter, sondern der linke Fuß zu deinem ersten Fund. Und wieder eine Rose, eine weiße allerdings.«
»Im Radio haben sie das nicht erwähnt.« Ich setzte mich vom Stuhl auf den Teppich vor den Schreibtisch, am liebsten hätte ich mich unter den Schreibtisch gelegt.
»Die Rosen erwähnen sie doch nie. Und was das Gelände angeht, weiß doch heute auch kein Mensch mehr, was da früher gestanden hat. Bevor da alles stillgelegt wurde, war es die Zeche Theodor, und selbst die ist schon sehr lange geschlossen.«
»Irgendjemand weiß es aber noch.«
»Oder schaut es nach, aber das ist ja nicht der Punkt.« ErzEngels Blick flackerte zwischen mir und der gezeichneten Zeche hin und her. »Wie kommt dieser Mensch nur auf dich?«
Ich bemerkte, dass mir Tränen die Wange hinunterliefen, und ließ es geschehen. »Ich habe keine Ahnung.«
»Die Polizei wird morgen kommen, um noch einmal mit dir zu sprechen. Da sie deinen Ausflug zum See heute Abend diskret begleitet haben, sind sie wenigstens sicher, dass du nichts mit dem neuen Fuß zu tun hast. Wie war der Salat?«
Falls mich diese Frage aufheitern sollte, verfehlte sie ihr Ziel gewaltig, die Tränen flossen jetzt, als gälte es über diesen Weg ein Blumenbeet auf meinem Dekolletee zu bewässern. Ich erhob mich, drückte meine Mutter kurz an mich und ging zur Treppe. »Ich lege mich hin.«
Aber ich legte mich nicht hin, sondern wanderte kreuz und quer in meiner Wohnung umher, als würde ich die vielfältigen Linien auf einem riesigen Schnittmuster abschreiten. Im Vorbeigehen fasste ich Gegenstände an und trommelte auf Möbel, als würde mir die Berührung versichern, dass sie fest und solide waren. Warum ich? Ich tippte das Handy
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