Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
Vom Netzwerk:
jetzt sehe das Grab wirklich total cool aus. Ich hätte an dieser Stelle Verdacht geschöpft, aber meine Eltern … tja, sie sind eben meine Eltern.
    Bei ihrem nächsten Friedhofsbesuch kam dann der Schock. Ohne Zweifel hatte Anoki unendlich viel Mühe auf die Gestaltung verwendet, und das kleine Stückchen Erde trug unverkennbar seine Handschrift: In ganz Neuruppin – und vermutlich weit darüber hinaus – hat man wohl noch nie ein derart exzentrisches Grab gesehen. Bei den Pflanzen hatte Anoki sich nur für die schreiendsten Farbtöne entschieden und in erster Linie eine Kombination von grellem Pink und Neonorange angestrebt. Damit hatte er eine Art Schachbrettmuster produziert, das in den Augen wehtat. Außerdem musste er die Dekoabteilung des Gartenmarktes leer gekauft haben, denn das komplette Grab einschließlich des Steins war mit den abgefahrensten Gimmicks geschmückt: japanische Laternchen, im Dunkeln leuchtende Kiesel, quietschbunte Windräder, ein steinerner Engel, glitzernde Glaskugeln und so weiter, und so fort.
    Ich sehe mir das am Wochenende an, und ich bin beeindruckt. Das Grab sieht aus wie ein Bordell in Disneyland. Ich meine, es ist hart an der Grenze zum Geschmackskollaps, aber es hat irgendwie Stil. Man erkennt, dass der Schöpfer dieser floralen Performance sich was dabei gedacht hat. Und es ist traurig, wie meine Eltern damit umgegangen sind, nämlich mit Entsetzen, Wut und Strafe. Anoki ist immer noch ganz geknickt.
    »Okay«, sage ich, nachdem ich mich von dem Gefühlsmix aus Schrecken und Erheiterung erholt habe, »das ist wirklich ungewöhnlich, würd ich mal sagen. Aber du hast dir echt Mühe gegeben – und noch dazu für jemanden, den du nie kennengelernt hast. Weißt du was? Ich glaube, Benni hätte das hier gefallen.«
    Anoki sieht mich dankbar an, während ich ein paar Fotos von der Installation mache, damit seine Enkel später mal was zu lachen habe. »Genau, so hab ich mir das nämlich auch gedacht!«, erklärt er. »Ich hab mir überlegt: Was hätte der wohl geil gefunden? Und das hab ich dann gekauft. War ja eigentlich nicht so schwer, ich meine, der war genauso alt wie ich, also braucht ich ja bloß nehmen, was mir gefallen hat. Oder? Und ich weiß echt nicht, warum deine Eltern so ausgetickt sind.«
    Natürlich spreche ich sie darauf an, als ich vom Friedhof zurück bin, so vorsichtig und behutsam, wie ich immer mit ihnen rede, wenn ich Kritik übe, aber mein Vater winkt nur ab und geht kopfschüttelnd raus, und meine Mutter kriegt wieder die Krise.
    »Das ist doch so was von peinlich!«, jammert sie. »Man möchte am liebsten im Boden versinken! Was hat er sich bloß dabei gedacht? Tante Anette hat mir erzählt, dass Frau Kluge sich schon bei Bedelows darüber mokiert hat!«
    »Anoki sagt, er wollte es so gestalten, dass es Benjamin gefallen hätte«, sage ich, »und ich finde, das ist ein wirklich schöner Gedanke. Kannst du das nicht mal anerkennen?« Aber damit hab ich erst recht ins Wespennest gezielt, und als dieser Streit endlich vorüber ist, bin ich mit schmerzenden Stichen übersät.
    Wenigstens weiß Anoki meine Bemühungen zu würdigen. »Warum legst du dich immer wieder mit denen an?«, fragt er. »Bringt ja doch nichts. Aber trotzdem nett von dir.«
    Am selben Abend bin ich mit Anoki auf dem Weg zum Kino, als er einen Anruf bekommt, den er merkwürdig einsilbig beantwortet. Ich weiß nicht, mit wem er redet, aber er druckst herum und lehnt irgendwas ab, und dann muss er das noch zweimal wiederholen, weil sein Gesprächspartner offenbar kein Nein akzeptieren will. Als er das Handy wieder in die Hosentasche schiebt, sieht er bedrückt aus. Ich könnte ihn fragen, was los ist, aber wahrscheinlich ist es besser, wenn er das von sich aus erzählt. Dann beginnt die Vorstellung, und ich hab die Sache wieder vergessen. Im Anschluss an den Film will er wie immer nach nebenan zu McDonald’s, und wie immer protestiere ich zuerst, um dann wie immer nachzugeben. Er gibt eine Bestellung auf, die nahelegt, dass er stellvertretend für seine Schulklasse hier steht, und ich warte darauf, dass das Mädchen hinter der Theke sagt: »Wir verkaufen aber nicht an den Großhandel!«
    Während ich bezahle, bekommt er eine SMS, die denselben Ausdruck von Besorgnis bei ihm auslöst wie das Telefonat vorhin. Mit der Fingerfertigkeit eines rumänischen Taschendiebs versendet er eine Antwort, noch ehe die beiden Tabletts mit seinen Burgern und Pommes frites fertig beladen sind.
    Wir suchen

Weitere Kostenlose Bücher