Herzbesetzer (German Edition)
verwelkten Zimmerpflanzen auf den Kompost zu bringen und das Sortiment ungeputzter Schuhe vom Flur in den Abstellraum zu verfrachten. Ich hätte auch gern noch mal durchgesaugt, aber dafür reicht die Zeit nicht mehr. Mein Vater sieht krank und müde aus und macht den Eindruck, als strenge ihn jedes Wort an, und Anoki lümmelt mit verschränkten Armen, provozierend lang ausgestreckten Beinen und zusammengepressten Lippen auf der Couch. Ich sehe mich gezwungen, das durch besonders zuvorkommendes, seriöses und liebenswürdiges Verhalten auszugleichen, biete der Jugendamt-Tante Kaffee an, stelle eine Schale mit Keksen auf den Tisch und lächle pausenlos wie ein Trottel. Im Grunde führen wir die Unterhaltung alleine. Sie erkundigt sich genau, was vorgefallen sei, warum meine Mutter verschwunden ist, ob wir irgendwelche Informationen über ihren Aufenthaltsort haben und so weiter. Leider fallen meine Antworten ziemlich unbefriedigend aus. Ich merke, dass sie verblüfft ist. Höchstwahrscheinlich ist ihr so ein Fall in ihrer Laufbahn noch nicht begegnet.
»Ihre Mutter hat immer so vernünftig auf mich gewirkt«, sagt sie nachdenklich. »Man kann sich gar nicht vorstellen, dass sie so etwas … Ungewöhnliches tut.« Da kann ich ihr nur recht geben. »Und Sie haben wirklich nicht die leiseste Ahnung, wo sie ist?«, fährt sie fort. »Hat sie sich denn überhaupt nicht gemeldet?«
Anoki, mein Vater und ich wechseln ratlose Blicke.
»Leider nicht«, sage ich als Wortführer.
Frau Paschmann entnimmt ihrer schmalen Ledermappe eine Akte und klappt sie auf. Jetzt geht es wohl ans Eingemachte. »Wie ist das denn für dich, Anoki?«, fragt sie meinen bockigen Bruder. »Vermisst du sie sehr?«
Ich rutsche unbehaglich hin und her. Es wäre mir lieber, sie würde nur mit mir reden, aber – na ja – es geht ja hier gar nicht um mich. Anoki verändert nichts an seiner trotzig-provokativen Haltung, als er angesprochen wird.
»Geht so«, sagt er nach einer unhöflich langen Pause. Als Jugendamtmitarbeiterin ist man wahrscheinlich nicht viel Besseres gewohnt. Frau Paschmann bleibt sachlich. »Du fühlst dich hier also nach wie vor wohl?«, hakt sie nach.
Anokis Blick flitzt kurz zu mir rüber, unsicher. »Joo, pff«, sagt er achselzuckend. Obwohl das nicht witzig ist, spüre ich, wie schon wieder ein Kichern in mir hochsteigt. Das muss irgendwas mit meinen aufgewühlten Hormonen zu tun haben. Anoki kann machen, was er will, er bringt mich einfach immer zum Lachen.
Ich unterdrücke mühsam, aber erfolgreich jede Heiterkeit und schalte mich stattdessen in das Gespräch ein. »Mein Vater ist ja noch da«, sage ich – was keineswegs offensichtlich ist, denn diese graue, schweigende Gestalt da hinten links könnte ebenso gut der Geist eines lange Verstorbenen sein –, »und ich komme her, so oft es geht, oder Anoki ist bei mir in Berlin. Wir haben das alles ganz gut im Griff, oder?« Ich gucke zu meinem kleinen Trotzkopf rüber, der bestätigend nickt.
Frau Paschmann räuspert sich und betrachtet uns nacheinander eingehend, als könne sie irgendwas Interessantes an unseren Gesichtern ablesen. »Bei solchen einschneidenden Veränderungen der familiären Situation müssen wir natürlich neu abwägen«, erklärt sie. »Manchmal ist das Kind in der Pflegefamilie so starken Belastungen ausgesetzt, dass man es besser wieder rausnimmt.«
Ich richte mich ruckartig auf. »Wie – rausnimmt?«, sage ich eine Spur zu scharf. »Was heißt das? Zurück ins Heim?«
Sie gibt so eine typische Amtsantwort: »Das kann es heißen.«
Jetzt werde ich allmählich ungeduldig. »Und was kann es noch heißen?«
»Na, zum Beispiel die Aufnahme in einer anderen Pflegefamilie«, sagt Frau Paschmann.
Was für ein Blödsinn! Wer sonst sollte diesen kriminellen, langhaarigen Drogenschlucker wohl haben wollen? Ich hab das Gefühl, sie will mich verarschen. Aber ich weiß auch, dass ich mich geduckt halten muss, was mir zunehmend schwerfällt. Anoki wirft mir einen weiteren unsicheren Blick voller Schmerz zu, als hätte er Angst, dass er morgen zu einer siebzehnköpfigen Mormonenfamilie auf die Schwäbische Alb verfrachtet wird.
»Ähm – nein. Anoki bleibt hier«, sage ich bestimmt.
Frau Paschmann legt den Kopf schräg, während sie mich ansieht. Mit einem kühlen Lächeln erwidert sie: »Das entscheiden aber nicht Sie, Herr Trojan.«
Anoki setzt sich aufrecht hin, fasst Frau Paschmann selbstbewusst ins Auge und sagt: »Sie können ja mal versuchen,
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