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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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fängst direkt an zu meckern und kommandierst mich rum!« Und dabei zieht er einen Schmollmund. Eigentlich hat er nicht ganz unrecht. Es war bloß so … erschütternd für mich, in diese verwahrloste Wohnung zu kommen, wo das Fehlen meiner Mutter mich regelrecht ansprang wie ein bösartiges Tier, und mit meinem Aktionismus wollte ich wahrscheinlich dafür sorgen, dass alles wieder in die gewohnten Schienen kommt.
    »Na gut, tut mir leid«, sage ich. »Das war vielleicht ein bisschen heftig. Aber dein Zimmer war ja wohl der totale Saustall.« Er presst die Lippen aufeinander, und da kommt auch schon mein Vater von der Toilette zurückgeschlurft.

 
 
77
    Am Montagnachmittag breche ich schon wieder nach Neuruppin auf: der Termin in der Schule. Nicht nur der Direktor, sondern auch zwei von Anokis Lehrern sitzen mir gegenüber. Da ich nicht die geringste Ahnung habe, um was es geht, und Anoki auch keinen Beitrag zur Klärung des Sachverhalts geleistet hat, lasse ich mir erst mal erzählen, was sie auf dem Herzen haben. Es fällt mir schwer, dabei die Ruhe zu bewahren, denn sie rasseln ein Sündenregister herunter, das überhaupt kein Ende nehmen will. Demzufolge hat Anoki sich mehrfach auf dem Schulgelände geprügelt, hat den Unterricht durch Aufsässigkeit massiv gestört, hat regelmäßig keine Hausaufgaben gemacht, vergisst immer wieder Bücher und Arbeitsmaterial, fehlt häufig unentschuldigt, benimmt sich den Lehrern gegenüber respektlos, missachtet die Schulordnung, indem er zum Beispiel mit seinem Skateboard durch die Flure rast, hat eine Lampe und eine Glasscheibe beschädigt und ist wiederholt beim Rauchen erwischt worden. Ich bereue, dass ich meinem Vater diesen Termin abgenommen habe. Was soll ich dazu sagen? Ich war nicht dabei, die können mir viel erzählen. Natürlich möchte ich Anoki verteidigen und in Schutz nehmen, aber leider klingt keine dieser Anklagen für mich wirklich unglaubwürdig, und ich habe keine Argumente parat, die seine Unschuld belegen. Also bleibt mir nur übrig, es mit der Psychomasche zu versuchen.
    Ich berichte mit angemessener Betroffenheit, dass meine Mutter die Familie verlassen hat, und schildere detailfreudig die Begleitumstände: wie Anoki nach Hause kam, als sie gerade ihre Sachen ins Auto packte, wie entsetzt und geschockt er war, wie furchtbar er jetzt leidet, wie mein Vater ebenfalls in eine tiefe Depression verfallen ist und Anoki keinerlei Halt geben kann und so weiter.
    »Mein Vater war nicht in der Lage, den Termin hier wahrzunehmen«, sage ich mit leidender Miene. »Wir sind zurzeit alle nicht in der besten Verfassung. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung für Anokis Verhalten – aber vielleicht wenigstens eine Art Erklärung.« Und ich lasse einen bittenden Blick von einem zum anderen wandern. Die Wirkung ist ganz gut. Der Direktor kaut auf seiner Unterlippe, der Mathelehrer guckt unbehaglich.
    Lediglich Anokis Geschichtslehrer blafft mich an wie eine Bulldogge. »Und wie soll das jetzt weitergehen? Wir können das nicht einfach so laufen lassen. Viele Schüler haben familiäre Probleme, aber deswegen gehen sie noch lange nicht mit den Fäusten auf die anderen los oder geben freche Antworten.«
    Ich nehme an, bei diesem Arschloch muss man kleine Brötchen backen. »Ja, natürlich«, sage ich und lasse den Kopf hängen. »Ich weiß. Ich gebe mir ja auch alle Mühe, zu Hause so etwas wie Normalität herzustellen. Aber ich wohne in Berlin und habe einen anstrengenden Job … Ich tue, was ich kann.«
    »Offenbar reicht das nicht«, gibt dieser Blödmann zur Antwort. »Wenn Ihre häusliche Situation sich so verändert hat, sollte Anoki wohl besser wieder in eine Einrichtung gehen, wo seine Betreuung und Erziehung gewährleistet ist.«
    Uff! Ich habe vor diesem Gespräch zwei Tabletten genommen, und trotzdem spüre ich, wie mein Blutdruck gerade einen Kickstart hinlegt. Wenn ich jetzt etwas sage – irgendetwas –, dann kann das nur eine üble Beschimpfung werden. Also zwinge ich mich mit allerhöchster Willenskraft, die Klappe zu halten. Dummerweise beiße ich mir dabei so fest auf die Unterlippe, dass sie wieder zu bluten beginnt. Der Direktor merkt es als Erster und macht mich darauf aufmerksam, und während ich ergebnislos nach einem Taschentuch wühle, zieht der Mathelehrer eins aus seiner Aktenmappe und reicht es mir rüber.
    Ich gewinne Zeit und meine Fassung zurück. »Anoki bleibt selbstverständlich bei uns«, erkläre ich fest, während ich das Blut

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