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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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möcht mal wissen, wieso die überhaupt angerufen hat«, murmelt er an meinem Ohr. Ich lege beide Arme um ihn und denke an Asbest.
    »War doch nett von ihr«, sage ich gegen meine eigene Überzeugung. »Jetzt wissen wir wenigstens, wo sie ist und dass es ihr gut geht.«
»Na toll. Und wer fragt danach, wie es uns geht?«, beschwert sich Anoki und drückt sein Gesicht in meine Halsbeuge. Asbest hilft nicht mehr; ich denke an eingewachsene Zehennägel.
    »Irgendwie hat sie das doch getan«, verteidige ich meine Mutter. Warum mache ich das eigentlich? Ich glaube, um Anoki zu trösten. »Hör mal, nimm das nicht persönlich. Dass sie weggegangen ist. Das hat wirklich nichts mit dir zu tun. Ich würd mal sagen, das ist eher so eine Art Midlife-Crisis.« Anoki bläst geräuschvoll Luft durch die Nase, zum Zeichen, dass er das anders sieht, und schiebt seine Hand unter mein T-Shirt. Eingewachsene Zehennägel helfen auch nicht mehr.

 
 
82
    Leise ziehe ich die Wohnungstür hinter mir zu. Anoki schläft noch, und wenn ich Glück habe, bin ich vom Einkaufen zurück, ehe er wach wird; ich will bloß Brötchen und Aufschnitt besorgen. Auf dem Rückweg komme ich an der Sparkasse vorbei und beschließe, meine Bargeldreserven aufzustocken. Ich reihe mich in die Warteschlange vor dem Geldautomaten ein. Als ich meine Geheimzahl und den gewünschten Betrag von zweihundert Euro eingegeben habe, dauert es verdächtig lange, bis etwas passiert, und dann erscheint auf dem Display die ohrfeigenartige Meldung: »Keine Auszahlung möglich.« Hektisch zerre ich die Karte aus dem Schlitz und trete die Flucht an, ohne den Blick vom Boden zu heben. Hoffentlich hat das keiner der hinter mir Wartenden gesehen.
    Die fünf Minuten bis nach Hause kommen mir vor wie ein Tagesmarsch. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. So was ist mir noch nie passiert. Die ganze Zeit hoffe ich, dass das nur ein Irrtum war, aber der weitaus größere Anteil von mir weiß genau, dass es das nicht war – sondern dass ich meine Kreditlinie massiv überschritten habe. Und das bedeutet, wir werden dieses Wochenende mit den zweiunddreißig Euro auskommen müssen, die ich noch im Portemonnaie habe. Wie es danach weitergehen soll, weiß ich nicht, denn mein Gehalt wird erst in einer Woche überwiesen. Ich fühle mich gedemütigt, verzweifelt, ängstlich und wütend. Mit anderen Worten: ich bin in einer absoluten Scheißstimmung. Bevor ich meine Wohnungstür öffne, nehme ich mir vor, Anoki nicht darunter leiden zu lassen. Er kann schließlich nichts dafür. Also, genau genommen kann er schon was dafür … und noch genauer genommen ist es sogar ausschließlich seine Schuld. Aber trotzdem. Hat mich ja keiner gezwungen, meinen ganzen Zaster auf den Kopf zu hauen. Ich hätte schon viel früher die Bremse ziehen können, statt meinen unersättlichen kleinen Bruder ohne Ende zu verwöhnen, mit ihm essen zu gehen, ihn ins Kino einzuladen, ihm fragwürdige Klamotten zu kaufen, ihm teure Geschenke zu machen und alles Übrige der Mineralölindustrie zur Verfügung zu stellen, aus Dank dafür, dass sie mich mindestens einmal wöchentlich nach Neuruppin und zurück fahren lässt.
    Anoki steht unter der Dusche, als ich reinkomme, und er steht immer noch unter der Dusche, als ich die Einkäufe ausgepackt und den Tisch gedeckt habe. Das bedeutet, er lässt jetzt seit rund zehn Minuten das heiße Wasser laufen.
    Ich hämmere an die Badezimmertür. »Bist du wahnsinnig? Mach endlich das Wasser aus!«
    Es rauscht weiter; vermutlich hört er mich nicht. Da er niemals abschließt, trete ich einfach ein. »Anoki!«, brülle ich. »Dreh das verdammte Wasser ab!«
    Er gehorcht sofort und fragt: »Wieso?«
    Ich versuche, durch die beschlagene Duschkabine einen Blick auf seinen nackten Körper zu erhaschen, und sage: »Weil es Geld kostet!«
    »Aber ich muss mich doch waschen«, entgegnet er mit unschuldiger Überzeugung.
    »So dreckig kannst du ja wohl nicht sein, dass du stundenlang unter der Dusche stehen musst«, schnappe ich ungeduldig. Ich kann fast gar nichts erkennen, nur seine Umrisse. Mist. »Komm jetzt raus, das Frühstück ist fast fertig«, füge ich resigniert hinzu und trete den Rückzug an. Während ich die Eier abschrecke, fällt mir auf, dass ich mein Vorhaben, ihn nichts von meiner Saulaune spüren zu lassen, bereits gnadenlos vergurkt habe, woraufhin diese noch weiter absinkt.
    Fröhlich, sorglos, sauber und umwerfend süß kommt Anoki in die Küche. »Wow«, staunt er

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