Herzbesetzer (German Edition)
ungemachtes Bett.
»Wann hast du eigentlich zuletzt die Bettwäsche gewechselt?«, frage ich.
Anoki starrt missmutig aus dem Seitenfenster. »Keine Ahnung«, bockt er.
»Dann mach es heute«, sage ich. »Und Papas Bett beziehst du auch gleich frisch. Steck alles in die Waschmaschine. So was muss man regelmäßig machen, Anoki! Das ist ekelhaft!«
Sein Kopf ruckt herum, und er faucht mich an: »Ey, leck mich doch! Ist doch wohl mein Problem!«
Wir fallen wieder in trübsinniges Schweigen.
Mein Vater ist soeben von seiner Angeltour zurückgekehrt. Trotzdem wirkt er nicht gerade energiegeladen. Seine erste Frage lautet: »Hat sie dich auch angerufen?«, und da weiß ich, woher sein bedrückter Gesichtsausdruck rührt.
Wir tauschen die Informationen aus, die meine Mutter uns geliefert hat – ziemlich deckungsgleich –, dann teile ich meinem Vater mit, dass Anoki die Absicht hat, in den Sommerferien nach Berlin überzusiedeln. Er gibt sich keine Mühe, seine Erleichterung zu verbergen. Könnte er nicht wenigstens einen Hauch Betroffenheit signalisieren? Oder einfach mal ein »Du wirst mir fehlen, Junge« über die Lippen bringen?
Stattdessen sagt er bloß: »Na, ich glaub ja nicht, dass das Jugendamt da mitspielt.« Ach, was erwarte ich! Das sind eben meine Eltern.
Ich gehe mit Anoki hoch in sein Zimmer und bemühe mich, ihn wieder aufzurichten. Klar, dass er jetzt noch deprimierter ist. Deutlicher hätte mein Vater ihm seine Gleichgültigkeit kaum vermitteln können. Vielleicht wäre es besser, wenn ich über Nacht hierbliebe, aber Anoki ist nach wie vor kratzbürstig und aggressiv zu mir, also – Pech gehabt. Ich hab schließlich auch meinen Stolz. Unser Abschied fällt trotzdem überraschend innig aus, weil er sich mit jäher Verzweiflung an mir festklammert. Ich drücke ihn zum Zeichen, dass ich ihm seine Übellaunigkeit verzeihe.
»Bleib tapfer«, sage ich. »Lenk dich einfach ab, zum Beispiel mit Hausaufgaben.«
Er lässt mich schlagartig los und boxt mir gegen die Schulter, aber liebevoll. »Arschloch«, sagt er. »Ich glaub, ich zieh doch nicht zu dir.«
Ich tue so, als würde ich erleichtert aufatmen. Dann grinsen wir uns an. Mühsam wende ich mich ab und kämpfe mich gegen den Widerstand elementarer Naturgewalten zum Auto. Unter gar keinen Umständen darf ich jetzt noch mal zurückschauen.
Auf der Heimfahrt fange ich wieder an zu grübeln, und das bekannte Gefühl der Überforderung steigt in mir hoch. Das pack ich doch niemals! Entweder will ich ihn vernaschen oder verprügeln, aber ich kann Anoki einfach nicht neutral, vernünftig und mit erzieherischer Weitsicht gegenübertreten. Scheiße, ich bin kein Vater! Nicht mal ansatzweise! Ich hab keine Lust, zu Elternabenden zu gehen, ihn zu Rockkonzerten zu fahren und seine Hausaufgaben zu kontrollieren! Ich hab auch keine Lust, mich in meinen eigenen vier Wänden fortwährend zusammenzureißen und einzuschränken, nur weil ein hochpubertärer Bengel mich bei allem beobachtet und jede schlechte Angewohnheit unverzüglich imitiert! Ich will mich vor niemandem rechtfertigen müssen, wenn ich einen langweiligen Fernsehfilm mittendrin ausschalte, fünf Tassen Kaffee trinke, mich sonntags schon um elf wieder ins Bett lege oder einen One-Night-Stand nach Hause bringe! Ich finde es nervig, die Hälfte meiner Habseligkeiten im Keller verstecken zu müssen, damit Anoki keinen Unfug damit anstellt! Ich möchte nicht, dass meine Wohnung als Umschlagslager für Dope, Ecstasy, geklauten Schnaps und illegal gebrannte CDs dient!
Und – o Gott – wen wird er alles mit nach Hause bringen? Schläger, Fixer, Flittchen, Kleptomanen, Zuhälter und Handtaschenräuber? In meine Wohnung? Werde ich abends von der Arbeit nach Hause kommen und über einen Berg schlammiger Springerstiefel steigen, um in meinem Wohnzimmer von ohrenbetäubendem Punk, einem giftigen Cannabisnebel und achtzehn total vollgedröhnten Kids empfangen zu werden, die meinen Kühlschrank geplündert haben und sich jetzt meine DVDs reinziehen? Aber das wäre ja noch gar nichts – verglichen mit der Vorstellung, wie Anoki sich mit irgendeiner bauchfreien Sechzehnjährigen laut stöhnend in seinem Zimmer vergnügt, während ich nebenan vor Eifersucht in mein Kopfkissen beiße.
Ich muss jetzt mit irgendjemandem reden. Und mein Auto wählt ganz von selbst den Weg zu Judith. Erst als ich bereits auf ihren Klingelknopf gedrückt habe, fällt mir ein, dass es erstens ziemlich spät und zweitens ganz schön
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