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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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dreist ist, so unangemeldet bei ihr aufzukreuzen. Aber sie wäre ja nicht Judith, wenn sie mich das in irgendeiner Form spüren ließe. Stattdessen umarmt sie mich freudig und sagt: »Was für eine schöne Überraschung! Komm doch rein! Hast du Lust auf ein Stück Apfelkuchen?«
    Bei meinem dritten Stück sagt sie lächelnd: »Und, was hast du auf dem Herzen?«
    Ich lächle voller Dankbarkeit zurück und fange an zu erzählen. Wie Anoki seine Mutter gesehen und glücklos verfolgt hat, was das bei ihm angerichtet hat, welchen konkreten Beschluss er daraufhin gefasst hat, wie mein Vater darauf reagiert hat – und wie erbärmlich ich mich jetzt fühle, weil ich hundertprozentig sicher bin, dass ich geradewegs in eine Katastrophe hineinsteuere.
    Aber Judith kuschelt sich an mich, nimmt meine Hand und sagt: »Worüber machst du dir Gedanken? Du bist doch schon die ganze Zeit derjenige, der sich um Anoki kümmert. Und du machst das unglaublich gut. Hab ich dir noch nie gesagt, wie sehr ich dich dafür bewundere, dass du so locker und souverän mit ihm umgehst? Also, mal ganz ehrlich: Mich würde er manchmal zum Wahnsinn treiben. Aber du bleibst immer total gelassen und kriegst jede noch so heikle Situation in den Griff.«
    Ich stoße einen ziemlich hysterischen Quieker aus, so eine Art überspanntes Lachen. »Wer, ich? Gelassen? Ach Gott!«
    Judith schüttelt lächelnd den Kopf. »Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein könnte dir auch nicht schaden, Schatz. Ich weiß ja, dass deine Nerven manchmal am Boden schleifen. Aber du kannst das immer ganz gut überspielen. Für Anoki bist du das Beste, was ihm passieren kann, wirklich. Ich wünschte, ich hätte nur halb so viel Geduld mit Una.«
    Jetzt weiß ich endgültig nicht mehr, wovon sie redet. Sie ist doch immer total nett und liebevoll zu Una!  Judith hat meine Gedanken erraten. »Am Wochenende ist es ja meistens entspannter«, erklärt sie. »Aber wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme und dann noch eine Stunde mit ihr Englisch pauken muss oder wenn sie trotz mehrfacher Aufforderung nicht ihr Zimmer aufgeräumt hat – also, das kannst du mir ruhig glauben, da geht auch manchmal mein Temperament mit mir durch.«
    Ich schweige beeindruckt und versuche, mir das vorzustellen. Bestimmt ist Judith sehr sexy, wenn ihr Temperament mit ihr durchgeht. Was muss ich wohl machen, um das mal zu erleben?
    »Soll ich auch mal mein Zimmer nicht aufräumen?«, flüstere ich ihr ins Ohr, und sie wird tatsächlich rot – wie reizend! – und kichert wie ein Mädchen. Dann steht sie auf und zieht mich mit sich ins Schlafzimmer. Zum Glück ist Una schon lange im Bett.   

 
 
88
    Judith hat es geschafft, mich wieder aufzubauen. Ich kann zwar immer noch nicht glauben, dass ich »locker und souverän« wirke, wenn Anoki mich in den Wahnsinn treibt, aber es ist trotzdem schön, so was zu hören, und auch alles Übrige hat eine sehr wohltuende Wirkung auf mich gehabt. Bis auf eine Kleinigkeit: Judiths merkwürdige Andeutung ganz zum Schluss, als ich mich weit nach Mitternacht von ihr verabschiede. Da bin ich schon hundemüde, deshalb verstehe ich sie vielleicht falsch, aber sie sagt: »Ein Kind allein zu erziehen ist immer sehr schwierig. Wenn Kinder zwei Elternteile haben, machen sie viel weniger Scherereien, und sie sind dann auch ausgeglichener.« Eigentlich müsste ich nachhaken, was genau sie damit meint, aber mein Schlafbedürfnis ist so überwältigend, dass ich mich auf keine längere Diskussion mehr einlassen will.
    Am Montag rufe ich sie während der Mittagspause an. »Wie hast du das gestern gemeint?«, frage ich. »Das mit den zwei Elternteilen. War das jetzt so allgemein oder auf Anoki bezogen?«
    »Allgemein, auf Anoki, auf Una«, antwortet sie ebenso leichthin wie vage, »das ist doch universell, oder?«
    Hä? Hat sie was geraucht? Ich verstehe immer noch nicht. »Was denn nun?«, bohre ich nach.
    Judith lacht. »Hab ich irgendeinen Nerv getroffen? Ich hab an eine Familie gedacht«, sagt sie. »Ich hab mir eine Familie vorgestellt, weiter nichts. Vater, Mutter, Kinder. Eine ganz alltägliche Angelegenheit. Kann man überall beobachten.«
    Also doch! Ich knirsche ungewollt mit den Zähnen und schlucke alle Erwiderungen herunter, die mir spontan in den Sinn kommen. »Ich hab keine besonders guten Erfahrungen mit Familie gemacht«, sage ich schließlich. »Fürs Erste bin ich geheilt.«
    Judith räuspert sich und spricht plötzlich mit ganz veränderter Stimme. »Du bist

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