Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
Vom Netzwerk:
nicht gerallt! Die ist natürlich jetzt stinksauer auf mich, aber das ist mir scheißegal, dann soll die eben nicht bei so was mitmachen, wenn die keine Ahnung vom Theaterspielen hat.«
    Klingt so, als sei er zum Regieassistenten avanciert, und für einen kurzen Moment habe ich eine Vision von Anoki in zehn Jahren, wie er brüllend und mit den Armen fuchtelnd über ein Filmset tobt, sämtliche Darsteller terrorisiert und schließlich in pathetischer Verzweiflung jault: »Ich kann so nicht arbeiten!«
    »Und was hast du heute gemacht?«, fragt er.
    »Dich vermisst«, erwidere ich spontan.
    Er kichert geschmeichelt und sagt: »Lügner. Du hast dich von Judith mit leckerem Essen vollstopfen lassen und sie zwanzig Mal gevögelt, und dann habt ihr irgendwas Rentnermäßiges gemacht, ’ne Dampferfahrt oder so.«
    Verflixt, wie gut er mich kennt. Außer dass ich es nicht ganz auf zwanzig Mal gebracht habe. »Okay, du hast mich durchschaut«, gebe ich zu, »aber vermisst hab ich dich trotzdem.«

 
 
105
    Judith nutzt alle Chancen, die dieses Wochenende ihr bietet. Wir haben Zeit für Gespräche, zum Kuscheln und für einen spätabendlichen Spaziergang. Ich darf ihr sogar in der Küche helfen und unter Beweis stellen, dass ich kein totaler kulinarischer Analphabet bin. Zum Ausgleich überlasse ich ihr – vermutlich mit denselben gemischten Gefühlen – meine Kamera und erdulde, dass sie eine ganze Fotoserie von mir macht, obwohl ich dauernd befürchte, dass sie das gute Stück fallen lässt oder Fingerabdrücke auf der teuren Linse hinterlässt. Sie ist zärtlicher und anhänglicher denn je und wickelt mich regelrecht ein mit ihrer Liebe. Ist das Taktik oder Schicksal? Jedenfalls schafft sie es, dass ich weit weniger an Anoki denke als jemals in den vergangenen Monaten.
    Am liebsten spricht sie über unsere Zukunftspläne. Was für eine Wohnung sie sich wünscht, wie sie sich den gemeinsamen Alltag vorstellt, was sie gerne alles mit mir machen würde, wenn wir erst mal zusammenleben und man sich nicht immer verabreden muss. Manches davon klingt ganz verlockend, aber vieles schnürt mir auch die Kehle zu. Ich sehe ein, dass wir zusammenziehen müssen, weil es so verlangt wird, aber ich würde es vorziehen, das Ganze als eine Art WG zu betrachten: zwei Jungs und zwei Mädchen, vielleicht sogar nach Geschlechtern getrennt. Judith hat vollkommen andere Vorstellungen und fragt mich, ob ich in unserem Schlafzimmer einen Fernseher haben möchte und in welchen Farben ich es gerne einrichten würde. Hä? Farben? Da drin ist man doch nur, wenn es dunkel ist, oder?
    »Da lass ich dir ganz freie Hand«, sage ich ebenso diplomatisch wie schmeichlerisch, »Frauen haben von so was einfach mehr Ahnung.« Männer haben nämlich andere Sorgen.
    Am Sonntag beim Frühstück blättert Judith im Immobilienteil der Wochenendzeitung und streicht eine ganze Reihe von Annoncen an, in denen Vier- und Fünfraumwohnungen angeboten werden. Ich erinnere mich, dass Anoki auch schon erste Recherchen vorgenommen hatte, und kriege ein flaues Gefühl im Magen. Wie soll das gut gehen? Sowohl er als auch Judith sind unter ihrer freundlichen Fassade knallhart. Beide wissen ganz genau, was sie wollen – in erster Linie mich, und dann noch ein paar andere Kleinigkeiten –, und keiner von ihnen wird dem anderen freiwillig auch nur einen Millimeter Vorsprung einräumen. Dann ist da noch Una, die gerade mit dem Gedanken spielt, in die Pubertät einzutreten, um ihre Umwelt noch effektiver terrorisieren zu können, und die wild entschlossen ist, mich als Erziehungsberechtigten kategorisch abzulehnen. Ich werde nicht in eine andere Wohnung umziehen, sondern auf einen Kriegsschauplatz, gegen den der Irak wie ein Freizeitpark aussieht.  
    »Hier, das wär was!«, jubiliert Judith und liest mir eine Anzeige vor, während ich fieberhaft über einen Fluchtweg nachgrüble. Vom Balkon abseilen und durch die Hinterhöfe türmen?
    »Was hältst du davon?«, fragt sie.
    »Hört sich cool an«, sagt Una. Beide sehen mich erwartungsvoll an.
    Ich hab überhaupt nicht zugehört. »Ja, toll«, bestätige ich mühsam.
    Judith lässt sich nicht täuschen. »Bist du noch müde, Schatz?«, fragt sie scheinbar besorgt.
    Dankbar ringe ich mir ein authentisch wirkendes Gähnen ab. »Ja, ich glaub schon«, bestätige ich eifrig, »hast du was dagegen, wenn ich mich noch mal zehn Minuten aufs Ohr lege?« Meine Flucht endet in der Sackgasse ihres Schlafzimmers, aber immerhin bin ich

Weitere Kostenlose Bücher