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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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anstrengenden Sorte ist. Er hört ihnen übrigens nicht mehr wirklich zu, sondern ist in Gedanken bereits in der wilden Stadt der Freiheit.
    Kaum sind wir losgefahren, legt er seine schmutzigen, schneeverklumpten Stiefel auf mein Armaturenbrett und zündet sich eine Zigarette an.
    »Füße runter und Kippe aus!«, schnauze ich ihn an. »Du egoistischer Penner – ich hab Bronchitis!« Und zum Beweis meiner Schonungsbedürftigkeit huste ich, dass mir die Tränen in die Augen treten.
    »Na und? Wird das schlimmer, wenn ich’s mir ’n bisschen bequem mach?«, erwidert er patzig. Das fängt ja gut an. Ich muss wohl gleich Lektion eins durchziehen. Beim Kreisverkehr fahre ich nicht geradeaus weiter, sondern einmal rum und nehme die gleiche Straße, aus der wir gekommen sind.
    »He – was machst du denn?«, fragt Anoki nervös.
    »Was wohl? Ich bring dich zurück«, sage ich kaltschnäuzig. »Du glaubst doch nicht, dass ich mir von dir Unverschämtheiten gefallen lasse, oder?«
    Anoki zappelt auf seinem Sitz rum und wedelt mit beiden Händen in der Luft. »Halt, warte! Tut mir leid! Juli! Entschuldige! Bitte!!«, fiept er verzweifelt. Ein bisschen lasse ich ihn noch schmoren, dann fahre ich rechts ran und gucke ihn misstrauisch an. Er reißt seine rührenden Hundeaugen auf. »War doch nicht so gemeint«, haucht er. »Bitte nimm mich mit!«
    Ich koste seine Angst und meine Überlegenheit so lange aus, wie es gerade noch vertretbar ist. »Deine letzte Chance«, sage ich dann grimmig und wende den Wagen wieder in Richtung Autobahn.
    Vorsichtshalber schweigt Anoki während der nächsten dreißig Minuten, daher kann ich ungestört darüber nachgrübeln, wie ich die kommende Woche überstehen soll. Als wir die Ausfahrt Fehrbellin passieren, beschließe ich, auf der Couch zu schlafen, auch wenn das meine Nachtruhe noch weiter verschlechtern wird – besser, als mein Bett mit dieser satanischen Verlockung teilen zu müssen. Außerdem nehme ich mir vor, einen geordneten Tagesablauf einzuhalten: nicht zu lange schlafen, möglichst regelmäßige Mahlzeiten, einen festen Termin für Anokis Schulaufgaben, keine abendlichen Eskapaden und so weiter. Und dann beschließe ich noch, ihn all meinen Berliner Freunden vorzuführen.
    Als Anoki sich wieder zu sprechen traut, stellt sich heraus, dass er sich mit ganz ähnlichen Überlegungen beschäftigt hat, dabei allerdings zu komplett gegensätzlichen Resultaten gekommen ist.
    »Heut Abend könnten wir noch ins Kino gehen«, schlägt er vor, »und am Mittwoch spielen Dusk im Columbia Club, wollen wir da hin? Und ich würd gern mal in diesen einen Park da gehen, wo du mir von erzählt hast, da wo man an jeder Ecke Stoff angeboten kriegt, weißt du? Wie hieß der noch mal? Ach so, und du hast mir versprochen, dass wir beim nächsten Mal das Olympiastadion angucken! Kann man eigentlich auf’m Kurfürstendamm wirklich so gut shoppen? Hat deine Mutter erzählt. Wir können der ja irgendwas Geiles kaufen, was hältst du davon? Für Dirk natürlich auch. Übrigens haben wir in der Theater-AG mal über das Grips-Theater geredet, kennst du das? Können wir da mal hingehen? Weißt du, wo das ist? Ich hab auch gehört, dass man am Potsdamer Platz total gut skaten kann. Würd ich gern mal ausprobieren.« In diesem Stil geht das weiter bis Berlin. Ich komme nicht zu Wort, habe aber auch nicht den Eindruck, dass das nötig wäre.
    Klar gehen wir ins Kino. Wir sehen uns einen komplett handlungsfreien Actionreißer mit wahnwitzigen Stunts und spektakulären Effekten an, wobei mein gefräßiger kleiner Freund eine große Tüte Popcorn, zwei Portionen Nachos mit Käsesauce, eine Cola und ein Bier vernichtet. Für das Geld, das mich dieser Kinoabend kostet, hätte man in Afrika wahrscheinlich eine Schule, ein Krankenhaus und einen Brunnen bauen können, und ich kann ihn nicht mal richtig genießen, weil ich dauernd erfolglos versuche, meinen Husten zu unterdrücken. Irgendwann drehen sich die vor uns Sitzenden mit vorwurfsvollen Blicken zu mir um. Wir kommen erst um elf nach Hause, und ich bin total fertig. Anoki holt zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank und will offenbar noch ein paar solide Männergespräche führen, aber dazu bin ich nicht mehr in der Lage. Ich gehe ins Bad zum Zähneputzen und komme in Unterwäsche zurück.
    Anoki guckt mich erstaunt an. »Ist dir so warm, oder willst du mich anmachen?«, fragt er.
    »Beides«, sage ich, »und drittens pflege ich so zu schlafen. Würdest du deinen

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