Herzbesetzer (German Edition)
anbetungswürdigen Hintern mal von meiner Couch bewegen?«
Seine Augen werden noch größer. »Wie jetzt? Du willst doch nicht auf der Couch …?«
»Doch«, sage ich schnell, ehe ich es mir anders überlege, »also bitte!«
Er erhebt sich langsam und fassungslos mit der Bierflasche in der Hand, und ich breite ein Laken über das Sofa, das übrigens nicht zu Schlafzwecken vorgesehen ist. Eigentlich taugt es bestenfalls für ein Mittagsschläfchen. Mit Todesverachtung türme ich meine Decke und mein Kissen darauf und krümme mich zwischen den Armlehnen zusammen, begleitet von Anokis ungläubigen Blicken. »Julian, das geht doch nicht!«, ruft er voller Entsetzen. »Warum schläfst du denn nicht in deinem Bett, verdammt?«
»Frag nicht so blöd«, huste ich, »und jetzt lass mich schlafen, es wird schon gehen, gute Nacht.« Ich schließe demonstrativ die Augen.
Anoki rumort im Zimmer herum, dann reißt er mir die Decke weg. Ich schreie protestierend auf und öffne ein Auge wieder, um zu sehen, wie er sie zurück auf mein Bett befördert. »Geh da rüber«, sagt er streng. » Ich schlaf auf der Couch.« Nach kurzem Zögern schnappe ich mein Kissen und folge seiner Aufforderung, und er richtet sich mit seinem Panther auf dem Sofa ein.
Es dauert eine Weile, bis er sein Bier leer getrunken hat und im Bad war und sich ausgezogen hat, aber das kriege ich gar nicht mehr mit, denn ich schlafe ganz schnell ein. Ich schlafe ungeheuer tief und fest, und als ich am anderen Morgen gegen sieben Uhr wach werde, liegt der Panther auf meiner Brust, und Anoki hält uns beide fürsorglich umschlungen.
34
Obwohl Anoki sich rührend bemüht, alles richtig zu machen, treibt er mich immer wieder mit Kleinigkeiten zur Verzweiflung – zum Beispiel, wenn ich ihn zur Apotheke schicke, um mir neue Hustentropfen zu holen, und er mit einer ganzen Tüte voller Säfte, Pastillen und Dragees zurückkehrt, für die er über zwanzig Euro bezahlt hat. Außerdem ist er regelrecht ausgehungert nach Abwechslung und hält es keine halbe Stunde in der Wohnung aus. Ständig bietet er eine bunte Palette von Vorschlägen für unsere Freizeitgestaltung an, von denen die meisten viel Geld kosten und/oder sich schlecht mit meiner Krankschreibung vereinbaren lassen. Der Buschfunk klappt hier zwar nicht so reibungslos wie in Neuruppin, aber wenn Kollegen mich zufällig auf einem Rockkonzert entdecken, ist das meiner Karriere garantiert nicht förderlich. Hinzu kommt, dass ich durch den quälenden Husten und ein bisschen Fieber ziemlich ausgebremst werde. Mein Energielevel ist noch geringer als sonst. Das hat auch mit Schlafmangel zu tun, denn obwohl sich die Sache mit der Couch offensichtlich erledigt hat, liege ich trotzdem Abend für Abend stundenlang wach und leiste der Versuchung erbitterten Widerstand – ein Kampf, der mich zusätzlich schwächt.
Anokis Horizont reicht meist nicht über seine eigenen Bedürfnisse hinaus. Ich muss schon sehr deutlich werden, um ihm klarzumachen, dass es meiner Genesung im Wege steht, wenn ich stundenlang bei eisigem Wind auf dem Potsdamer Platz herumlungere, damit er dort ausgiebig skaten kann, oder dass mein Gehalt nicht ausreicht, um jeden Abend mit ihm essen zu gehen. Hinterher tut es mir immer leid, weil er mich so schuldbewusst und erschrocken ansieht und sich offensichtlich Vorwürfe macht, dass er unverschämt war. Das will ich nicht. Er soll sich wohl fühlen bei mir, er soll seine Ferien genießen, er soll so viel wie möglich vom Leben kennenlernen und neue Erfahrungen sammeln. Ich wünschte nur, es wäre nicht so mühevoll.
Anoki fängt an, über Dinge zu reden, die er bisher nie angesprochen hat, zum Beispiel seine Kindheit oder die Zeit im Heim. Beim Frühstück frage ich ihn, ob er eigentlich immer schon einen Hang zum Klauen hatte, und da ist er erst mal beleidigt. Aber dann gibt er zu, dass er mit der Einstellung aufgewachsen ist, man müsse sich nehmen, was man braucht.
»Ich würd aber nie ’n Freund abrippen oder so«, versichert er. »Das wär ja voll für’n Arsch. Ich klau nur in Geschäften oder wo es keinem wehtut.«
»Irgendeinem tut es immer weh«, sage ich, »sonst könnten wir das Eigentum ja komplett abschaffen. Aber sag mal, wenn du auch vorher schon so viel geklaut hast: wieso bist du dann praktisch ohne alles zu uns gekommen? Du hattest ja nicht mal genug zum Anziehen.«
Anoki guckt weg und lässt sich Zeit mit der Antwort. »Na ja, im Heim … da waren so zwei ältere
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