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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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aufgeben muss. Ich habe seit gut zweiundzwanzig Stunden keine mehr genommen. Mit der Folge, dass ich Anoki beim Griechen zusammengefaltet und sehr, sehr schlecht geschlafen habe. Auch jetzt fühle ich mich wieder so gereizt, als könnte ich gleich irgendjemanden mehr oder weniger grundlos anschreien. Nein, das hat keinen Zweck, das geht so nicht. Ich hole eine Kapsel aus meiner Jackentasche und betrachte sie nachdenklich.
    »Wie oft nimmst du die denn?«, fragt Anoki.
    Ich erzähle ihm von meinem Entzugsplan und auch das, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist, und er sagt pragmatisch: »Ey, du musst natürlich langsam aussteigen. So von jetzt auf gleich geht das nicht. Du musst die Abstände allmählich größer werden lassen.«
    Obwohl er sich bloß Sorgen um meine Gesundheit macht und es ganz bestimmt gut meint, lässt irgendein Kurzschluss in meinem Gehirn mich patzig antworten: »Was weißt du denn schon davon, du Wickelkind? Bist du hier der Drogenbeauftragte der Bundesregierung oder was?«, und ich werfe mir die Tablette in den Mund und kippe schwungvoll ein Glas Orangensaft hinterher.
    Anoki ist nur für einen kurzen Moment gekränkt, dann sagt er lächelnd: »Jetzt ist auf jeden Fall Zeit, dass du dich was runterfährst, Alter«, und ich bin gleichzeitig beschämt und erleichtert, dass er nicht eingeschnappt ist.
    »Verdammt«, sage ich reuevoll, »ohne diese Dinger bin ich anscheinend ein völliges Arschloch.« Ich weiß, was Anoki jetzt antworten wird.

 
 
43
    Wie immer wird Anoki zunehmend schwermütiger, je mehr es auf den Abschied zugeht. Obwohl wir einen schönen Spaziergang um den noch teilweise zugefrorenen Grunewaldsee machen, wo er trotz meiner eindringlichen Warnungen unbeirrt aufs Eis geht und natürlich einkracht und sich einen tropfnassen Turnschuh holt, ist er nicht wie sonst. Nicht so fröhlich, heiter, wirbelig. Eher gedämpft. Diesmal kann ich das gut nachvollziehen; zu Hause in Neuruppin hat er ja derzeit kein besonders gutes Standing.
    »Du musst dich irgendwie mit meinen Eltern arrangieren«, sage ich. »Vielleicht hilft es dir zu wissen, dass sie besonders allergisch reagieren, wenn man über sie redet. Das heißt, wenn du Scheiße baust, sorg dafür, dass es nicht die ganze Nachbarschaft mitkriegt, dann sind sie auch nur halb so sauer.«
    Anoki grinst freudlos. »Na ja, nicht so einfach, wenn die Bullen mich dauernd nach Hause bringen wollen. Ich hab denen gesagt, ich kann auch alleine gehen, aber die sind ja da ziemlich hartnäckig.«
    »Dann lass dich doch nicht dauernd erwischen, du Anfänger«, ziehe ich ihn auf.
    Er deutet einen Karatehieb in meine Richtung an. »Du hast gut reden, du Muttersöhnchen! Du hast bestimmt immer brav pariert!«
    Er hat recht. Der Höhepunkt meiner kriminellen Karriere war erreicht, als ich mit elf Jahren in einem Supermarkt einen Schokoriegel geklaut habe. Und selbst das war eigentlich ein Versehen, ich hatte bloß vergessen, ihn zu bezahlen. Darüber hinaus war ich fast schon langweilig solide. Außer natürlich … »Hör mal, immerhin hab ich meinen Bruder umgebracht«, trumpfe ich auf.
    »Hast du gar nicht«, widerspricht Anoki sofort, »und außerdem kriechst du dafür deinen Eltern jetzt noch in’n Arsch, du Lusche. Total lächerlich. Bloß weil du den mitgenommen hast. Das ist ja noch nicht mal richtig illegal, so was.«
    Das stimmt ebenfalls. Das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung wurde damals eingestellt, weil ich exakt so viel Promille hatte wie gerade noch erlaubt. So gesehen zahle ich vielleicht einen viel zu hohen Preis. »Aber dafür haben sie jetzt dich, und du zeigst ihnen mal, was alles geht«, erkläre ich und merke, dass der Gedanke mir Genugtuung verschafft.
    »Ich hab aber keinen Bock, mich mit denen anzulegen«, sagt Anoki. »Die bringen das fertig und schicken mich wirklich zurück ins Heim. Das können die machen, ich bin ja nur ’n Pflegekind.«
    »Dann bring ich sie auch noch um«, sage ich nur halb scherzhaft und lege Anoki fest den Arm um die Schultern. Er schlingt seinen Arm um meine Taille, und wir gehen ein paar Meter wie ein Liebespaar, dann stellt er mir ein Bein und lacht sich scheckig, weil ich beinahe hingefallen wäre.
    Ich rufe meine Mutter an und teile ihr mit, dass ich Anoki um sieben in den Zug setze; dann ist er um halb neun zu Hause.
    »Er hat aber morgen Schule«, meckert sie, nur um irgendwas dagegen zu sagen.
    »Aha, und was heißt das?«, frage ich. »Muss er dann um acht ins Bett oder

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