Herzbesetzer (German Edition)
was?«
Darauf fällt ihr nichts mehr ein. Anschließend bin ich wieder ein bisschen verbindlicher als bei unserem Telefonat gestern, und sie scheint sich ebenfalls beruhigt zu haben. Als ich ihr erzähle, dass Anoki ins Eis eingebrochen ist, wird sie ganz besorgt und bittet mich, ihm so schnell wie möglich trockene Strümpfe zu geben und seine Schuhe gründlich zu trocknen, bevor ich ihn zum Bahnhof bringe.
»Nimm den Föhn«, schlägt sie vor.
Anoki selbst ist überhaupt nicht an der Wiederherstellung seiner Gehfähigkeit interessiert und weigert sich, dazu irgendeinen Beitrag zu leisten. Er sitzt vor dem Fernseher und trinkt Cola aus der Flasche, als ich seinen Schuh zu Ende frisiert habe.
»Ich hab noch ’ne Dauerwelle reingemacht«, sage ich, aber er wirft mir nur einen tragischen Blick zu und antwortet: »Ich brauch den Scheißschuh nicht.« Da ich wieder einen gewissen Mangel an Energie verspüre, setze ich mich neben ihn und sehe mir an, was er für ein Programm ausgewählt hat. Ein Kinderfilm – irgendwas mit einem Mädchen und einem Wildpferd. Wie niedlich! Wer hätte gedacht, dass dieser drogenkaufende, nachtaktive Minigangster sich Kinderfilme anschaut! Eine Weile gucke ich mit, dann fallen mir die Augen zu, und ich dämmere weg.
Ich weiß nicht genau, wie lange ich schlafe, jedenfalls läuft im Fernsehen etwas anderes, als ich wach werde – eine Comedyserie –, und irgendwas riecht komisch, aber ich kann es nicht zuordnen. Anoki drückt gerade seine Zigarette im Aschenbecher aus, wobei er gewisse Schwierigkeiten zu haben scheint, diesen auch zu treffen. Ich sehe in seine Augen. Die sind merkwürdig verschwommen und vernebelt. Im selben Moment weiß ich auch, was für ein Geruch das ist: Alkohol. Ich greife nach der mittlerweile leeren Colaflasche, die auf dem Tisch steht, und schnuppere daran. Ein intensiver Gestank nach Hochprozentigem lässt mir beinahe schwindlig werden.
»Was hast du da reingetan?«, japse ich entsetzt. »Etwa meinen guten Johnnie Walker?«
Anoki gibt keine Antwort. Er hängt auf der Couch wie ein nasser Lappen und scheint kaum noch seinen Kopf gerade halten zu können. Offensichtlich hat er eine bestenfalls noch halb volle Literflasche Cola bis obenhin mit Whisky nachgefüllt, und ich Trottel hab mal wieder nichts mitbekommen.
Er rutscht noch ein bisschen tiefer ins Polster, rülpst leise und lallt: »Ich glaub, mir ist schlecht«, dann springt er plötzlich hoch – das heißt, er versucht es, aber die Schwerkraft hat was anderes mit ihm vor, und so schafft er es nur bis zum Sessel, den er dann von oben bis unten vollkotzt. Einen Moment lang bin ich wie gelähmt – schließlich bin ich gerade erst aufgewacht und noch nicht für Extremsituationen dieser Art gewappnet –, dann eile ich Anoki zu Hilfe.
Ich zerre ihn ins Bad und zwinge ihn vor der Kloschüssel auf die Knie, wo er sein vorzeitig begonnenes Werk fortsetzt. Es wundert mich kein bisschen, dass er ziemlich lange damit beschäftigt ist – ich meine, bei den Mengen, die er frisst. Trotzdem bleibe ich bei ihm, halte mit der linken Hand die Dreadlocks in seinem Nacken zusammen, taste mit der rechten nach der Klopapierrolle, um ihm was zum Abwischen zu geben, und feuere geballte Beschimpfungen auf ihn ab.
»Das hast du davon, du verfluchter Trottel, kann ja wohl nicht wahr sein, lässt der sich da mit meinem Whisky volllaufen, wie kann man nur so bescheuert sein« et cetera. Ich muss dabei aufpassen, dass mein Mitleid mit diesem würgenden, schwitzenden und sich in Krämpfen windenden Häufchen Elend nicht überhand nimmt, sonst sag ich ihm am Ende noch was Nettes. Nachdem sein Magen nichts Brauchbares mehr hergibt, plumpst Anoki erschöpft und zitternd neben dem Klo auf die Fliesen. Ich ziehe ihn hoch, überrascht, wie schwer dieses halbe Portiönchen ist, und setze ihn auf den Wannenrand, um ihn auszuziehen. Tja, eigentlich hatte ich mir das romantischer vorgestellt. Es ist ernüchternd unerotisch, einen besoffenen, säuerlich stinkenden, vollgekotzten Knaben zu entkleiden, der einen unter halb geschlossenen Lidern leidend anstarrt und dauernd die Nase hochzieht. Als Nächstes packe ich ihn in mein Bett, und dann muss ich wohl oder übel meinen Wohnraum sauber machen – igitt. Ist das widerlich! Und wie das stinkt!
Nachdem ich noch seine besudelte Kleidung ausgewaschen habe, lasse ich mich erschöpft und angeekelt auf die Couch fallen. Anoki gibt keinerlei Lebenszeichen mehr von sich, aber das ist mir im
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