Herzblut 02 - Stärker als der Tod
die Augen zusammen. „Woher weißt du so viel über die Nachfahren?“
Ron zuckte mit den Schultern. „Ich bin mit Geschichten über sie aufgewachsen. Wie alle in meiner Familie.“
Worüber redete seine Mutter in ihrer Gesellschaft für Familienforschung eigentlich?
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht mit einem Außenstehenden darüber reden sollte, was der Clann kann“, murmelte ich verlegen.
Er beugte sich vor und grinste. „Aber du kannst wirklich seine Gedanken lesen, oder?“
Im Hintergrund hörte ich seine Mutter, die am Ausleihtresen so laut wurde, dass ihre Stimme durch die ganze Bücherei schallte. Ihr Gesprächspartner am Telefon bekam ordentlich was zu hören.
„Was hat deine Mutter denn?“
„Ach, sie ist nur sauer, weil ein paar Spinner bei der Gesellschaft für Familienforschung eingebrochen sind und das Büro verwüstet haben.“
„Oh nein. War es schlimm?“
„Sie haben die Aktenschränke aufgebrochen und Unterlagen durch die Gegend geworfen. Wahrscheinlich irgendwelche Hohlköpfe, denen einfach langweilig war und die nichts Besseres zu tun hatten. Keine Sorge, sie beruhigt sich schon wieder, wenn ihr die Polizei oft genug sagt, dass es keine Spuren gibt.“
Jacksonville war zwar schön, aber außer einem Kino, ein paar Festen im Jahr und dem Rodeo war hier für Teenager kaum was los. Wenn keine lokalen Veranstaltungen anstanden, fuhren die meisten Leute am Wochenende die halbe Stunde nach Tyler oder noch weiter nach Dallas oder Houston.
Wer würde denn bei der Gesellschaft für Familienforschung einbrechen?
„Jetzt hör auf, um den heißen Brei herumzureden“, sagte Ron. „Das war der Grund, warum du heute wirklich ausgerastet bist, oder? Weil du Tristans Gedanken lesen kannst. Er hat dich damitin den Wahnsinn getrieben, stimmt’s?“
Mist. Rons Augen funkelten entschlossen. Er würde keine Ruhe geben.
Ich hatte es satt, so viele Geheimnisse für mich zu behalten, und seufzte. „Ja, kann ich. Und ja, er macht mich wahnsinnig. Wenn er nicht auf der Geschichte mit uns rumreitet, stellt er sich vor, er würde mit Bethany rummachen.“
„Was für ein Arsch.“
Rons Kommentar klang so mitfühlend, dass ich lächeln musste. „Ja, in letzter Zeit ist er das.“
Ich merkte, dass ich das Lehrbuch beim falschen Kapitel aufgeschlagen hatte, und suchte die richtige Seite raus. „Was hast du vorhin zu ihm gesagt, als ich draußen war? Er hat sich ja sofort entschuldigt.“
„Nichts“, behauptete Ron mit Unschuldsmiene.
Ich grinste. „Ja, klar. Hast du ihm Prügel angedroht oder was?“
Diesen Kampf wollte ich mit Sicherheit nicht sehen. Beide waren etwa eins achtzig groß, hatten breite Schultern und waren durch das Footballtraining muskulös und schnell. Körperlich waren sie sich ebenbürtig. Wenn Tristan eine Prügelei mit Ron gewinnen wollte, müsste er schon auf Magie zurückgreifen.
Gestern hätte ich noch gewettet, dass Tristan nie zu so fiesen Mitteln greifen würde, wenn sein Gegner kein Nachfahre war. Heute war ich mir nicht mehr so sicher.
„Nein. Ich schwöre, wir haben kein Wort gesagt“, sagte Ron. Ich starrte ihn durchdringend an, aber er zuckte nicht mal mit der Wimper. „Vielleicht hatte er nur ein schlechtes Gewissen, weil er dich zum Weinen gebracht hat.“
Mir schnürte sich die Kehle zu, sodass ich heiser klang. „Das hat er schon lange nicht mehr geschafft.“
Ron langte über den Tisch und tätschelte mir die Schulter. „Soll ich ihn für dich verprügeln?“
Ich musste laut lachen. „Das habe ich Anne mit dir auch angeboten.“
Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. „Und sie hat abgelehnt?“
Ich fing lächelnd an zu lesen, was ich im Unterricht verpasst hatte. „Vielleicht nicht. Vielleicht wollte sie, dass ich überraschend angreife.“
Er schnaubte. „Das würde ich ihr glatt zutrauen. Wenn sie erst mal richtig sauer ist …“
„Ja, sie ist schon eine echte Kämpferin. Mit genug Wut im Bauch stürzt sie sich auf jeden, der in ihren Augen etwas falsch macht.“
„Und deshalb würde sie dich auch nie bitten, mich für sie zu verprügeln.“
Ich lachte. „Natürlich nicht. Das würde sie lieber selbst machen.“
22. KAPITEL
Tristan
H eute hatte ich Savannah zum Weinen gebracht.
Ich hatte sie schon früher erlebt, wenn sie den Tränen nah war, und einmal verschnieft und mit geröteten Augen vom Weinen, kurz bevor sie sich von Greg Stanwick getrennt hatte. Ich hatte gesehen, wie sie im Regen gekniet und ihre
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