Herzblut 02 - Stärker als der Tod
löste die Verriegelung und öffnete sie ganz. Eigentlich wollte ich aussteigen und selbst nachsehen, aber ich war völlig fertig, und es hätte sowieso nichts gebracht. Ich hatte keine Ahnung von Motoren.
„Hm, ich glaube, ich habe das Problem erkannt“, meinte Ron.
„Ja? Bekommst du es mit Gewebeband und Bindedraht wieder hin?“ Anne riss gern Witze über die beiden beliebtesten Hilfsmittel der Südstaatler.
„Nicht mal ein Mechaniker mit einem kompletten Satz Werkzeuge würde dein Auto hinbekommen, wenigstens nicht ohne einen Haufen Ersatzteile. Komm mal her und sieh dir das an.“
Seufzend stieg ich aus. Sogar ich erkannte das Problem auf den ersten Blick.
Der Motorraum war ein einziger geschmolzener Regenbogen aus Rot, Blau, Weiß und Grün. „Sag mal, ist das normal? Beim letzten Ölwechsel war es nämlich noch nicht so bunt.“
„Nein, das ist ganz sicher nicht normal. Die ganze Verkabelung ist geschmolzen.“
Was? Im Oktober? So heiß war es im Oktober nicht mal in Osttexas.
„Wie kann das nur …“ Oh. Natürlich. Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen. „Dylan.“
„Ja, wahrscheinlich. Sieht aus, als hätte er jedes einzelne Kabel im Auto geschmolzen.“
Als ich schnupperte, bemerkte auch ich den Gestank. Vorhin war ich zu müde gewesen und hatte einfach nur Dylan loswerden wollen.
„Komm, ich bringe dich nach Hause.“ Ron klappte den Halter ein und schlug die Motorhaube zu. Es knallte so laut, dass ich zusammenzuckte. „Ich sag’s nicht gerne, aber wahrscheinlich brauchst du ein neues Auto.“
„Ernsthaft?“, fragte ich. „Kann man keine neuen Kabel einziehen?“
„Doch, schon. Aber mein Onkel hat eine Werkstatt in Palestine, und ich helfe manchmal an den Wochenenden aus. Bei solchen Fällen sagt er meistens, dass eine neue Elektrik mehr kosten würde als ein ganzer Gebrauchtwagen. Vor allem bei so einem Auto.“ Er warf mir einen Blick zu. „Ist nicht böse gemeint.“
„Schon gut. Meine Eltern haben ihn mir letztes Jahr zum sechzehnten Geburtstag geschenkt. Mom hatte nicht so viel Geld, und sie wollte auch nicht, dass Dad viel ausgibt.“
Aber mein kleines Auto war immer brav und verlässlich gewesen und bei Wind und Wetter angesprungen. Es hatte mir kein einziges Mal Probleme gemacht. Bis Dylan es geschrottet hatte.
Zähneknirschend holte ich meine Tasche aus dem Auto und schlug die Fahrertür zu. Ich stieg neben Ron ein. Meinen kaputten Pick-up wollte ich nicht mal ansehen. Aber als wir losfuhren, starrte ich wie gebannt in den Seitenspiegel und sah zu, wie mein Auto immer kleiner wurde.
„Ich fasse es nicht, dass er das gemacht hat“, sagte ich, während Ron durch das Viertel fuhr, das an das Schulgelände grenzte. „Woher wusstest du, was Dylan vorhat?“
„Ich wusste es gar nicht. Nicht genau, meine ich, nur dass er irgendwas geplant hat. Tut mir leid, dass ich nicht früh genug da war. Coach Parker hat mir ein paar Runden aufgebrummt, weil ich im Training nicht richtig aufgepasst habe. Sonst wäre ich früher gekommen, vielleicht hätte ich ihn aufhalten können. Hat er sonst noch was gemacht?“ Er warf mir einen nervösen Blick zu.
„Nein, er hat mich nur mit seiner fixen Idee genervt, ich wollte wieder mit Tristan zusammen sein.“
Und dass er gedacht hatte, er wollte mich, würde ich so schnell wie möglich vergessen. Schon bei der Vorstellung wurde mir ganz anders.
„Also, wohin soll’s denn gehen?“, fragte Ron einen Moment später.
„Nach Hause“, antwortete ich seufzend.
Ich beschrieb ihm den Weg. Dann lehnte ich den Kopf zurück und schloss die Augen.
Ein paar Minuten später hielten wir mit einem Ruck an.
„Sieht aus, als würde jemand eine Party feiern“, meinte Ron.
Ich hob den Kopf und öffnete die Augen. In unserer Auffahrt standen Autos, die mir bekannt vorkamen, und ein großer Wohnwagen. Es war das erste Mal, dass Mom mich besuchte, und offenbar hatten auch noch Anne, Carrie und Michelle beschlossen, heute vorbeizuschneien. Was, zum Teufel …
Dann fiel der Groschen. „Mein Gott. Ich habe doch glatt meinen eigenen Geburtstag vergessen!“
„Du hast heute Geburtstag?“, fragte Ron überrascht.
Ich nickte. Bei dem ganzen Chaos im Moment hatte ich völlig vergessen, welchen Tag wir heute hatten. Seit 16.22 Uhr war ich siebzehn.
Und offenbar hatten alle eine Feier für mich geplant.
Mein erster Gedanke war: Oh, wie lieb! Für mich hatte noch nie jemand eine Überraschungsparty zum Geburtstag geschmissen.
Dann spürte
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