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Herzblut 02 - Stärker als der Tod

Herzblut 02 - Stärker als der Tod

Titel: Herzblut 02 - Stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Darnell
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ich auf den Schlamm, den Regen und die Grasflecken auf Nannas Nachthemd, das bei ihr immer sorgfältig blütenweiß gehalten wurde.
    „Dann schreibe ich es so in die Sterbeurkunde“, antwortete Dr. Faulkner. Er, Dad und Mr Coleman standen auf.
    Erst jetzt ließ ich meinen Blick über die Lichtung schweifen und bemerkte das entsetzte Publikum, das jede meiner Bewegungen beobachtete. Viele starrten mich an und tuschelten, als würden sie ein Theaterstück sehen, in dem sie keine Rolle spielten. Empfanden sie wenigstens einen Hauch von Schuld wegen Nannas Tod? Oder war ich hier die einzige Mörderin?
    Mr Coleman drehte sich langsam im Kreis, bis alle verstummten. „Wir werden niemals über heute sprechen. Verstanden?“
    Die Nachfahren nickten zögerlich. Während sie in kleinen Grüppchen im Wald verschwanden, spürte ich, welchen Widerwillen viele von ihnen verströmten.
    „Savannah …“, rief Tristan mit erstickter Stimme. Er wollte zu mir kommen, aber Dylan und ein anderer Junge hielten ihn fest. Fluchend versuchte Tristan, sich loszureißen.
    Ein Prickeln auf meiner Haut verriet mir, dass sein Energielevel stieg. Gleich würde Tristan mit Magie gegen die beiden Jungen kämpfen.
    „Tristan, hör auf!“ Ich sah seinen Vater an. „Darf ich …“
    Nach einem kurzen Blick auf Nanna nickte Mr Coleman.
    Wieder durchströmten mich Schmerzen. Fast nahmen sie mir die Luft zum Atmen. In mir schrie eine Stimme, ich hätte schon genug verloren. Ich solle das Stückchen Glück, das mir noch blieb, festhalten. Ich würde es nicht überleben, noch etwas zu verlieren.
    Aber ich musste es tun. Ich hatte zwei Versprechen gegeben. Und es war zu seiner eigenen Sicherheit.
    Widerstrebend ging ich auf tauben Beinen zu Tristan. Bei jedem Schritt patschte das Moos unter meinen Schuhen. Nachdemder Sturm weitergezogen war, war das Geräusch deutlich zu hören. Viel zu schnell erreichte ich das Ende meiner einzigen wahren Liebe.
    Ich wollte mir Tristans Gesicht genau einprägen, jede Linie auf seiner Stirn, die vollen geschwungenen Lippen, die er jetzt vor Wut, Schuldbewusstsein und Angst zusammenpresste, die vom Regen tropfnassen dunkelgoldenen Locken, die sein Gesicht einrahmten. Unsere Umgebung, die ich nur aus den Augenwinkeln wahrnahm, erinnerte mich an alles, was wir in unseren Träumen hier zusammen erlebt hatten. An die vielen Küsse, während wir auf der Picknickdecke gelegen und stundenlang geredet hatten. Die schweren Äste der Kiefern wiegten sich in den letzten Ausläufern des Sturms. Genau so hatte es ausgesehen, als ich mit Tristan barfuß auf dem Moos getanzt hatte. Bei meinem Geburtstag im letzten November hatten in diesen Bäumen tausend Lämpchen gefunkelt. Und ich hatte den erträumten Samtkuchen von Tristans Lippen geküsst.
    Jetzt waren wir hier. Wir standen tatsächlich im Wald auf der echten Lichtung und schufen eine neue Erinnerung. Eine, die ich nie loswerden würde, und wenn ich es noch so sehr versuchte.
    Als ich den letzten Schritt auf ihn zuging, war er wie erstarrt. „Sav, es tut mir so leid. Ich wollte nicht …“
    „Ich weiß“, unterbrach ich ihn. „Mir tut es auch leid. Aber der Rat und der Clann haben recht: Wir sollten uns wirklich nicht mehr sehen. So ist es besser. Sicherer.“
    „Nein, Sav …“
    Ich drückte meine kalten Fingerspitzen auf seine warmen Lippen. Der Regen rann über sein Gesicht und um meine Finger, wie winzige Bäche Steine umspülten. Ich schloss die Augen. Bei dem, was ich jetzt sagen würde, wollte ich sein Gesicht nicht sehen. Sonst würde ich es vielleicht nicht schaffen, und es musste sein.
    Auf Zehenspitzen drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange. Ich schmeckte den Regen auf seiner Haut. Und ich ließ mir Zeit, damit ich neben dem Ozon in der Luft Tristans schwaches Eau de Cologne riechen und ein letztes Mal seine Wärme spüren konnte. Dann wich ich zurück, die Augen immer noch geschlossen. Mit ganzer Macht klammerte ich mich an alldem fest, während ich mich gleichzeitigzwang, ihn gehen zu lassen.
    „Wir dürfen uns nicht mehr sehen. Versuch es bitte gar nicht erst. Es ist die richtige Entscheidung. Irgendwann wirst du es verstehen.“
    Ich drehte mich um und ging, bevor er mich umstimmen konnte. Irgendwie schaffte ich es, nicht zurückzusehen, als ich ein letztes Mal unseren Wald verließ.
    Dabei wusste ich genau, dass ich mein Leben lang an diesen Tag zurückdenken würde, an die letzten Monate und an jede einzelne Entscheidung, die ich getroffen hatte.

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