Herzblut 02 - Stärker als der Tod
wie sie unsere Eltern angelogen hatte. Aber wieso sollte sie mich anlügen? Das hatte sie noch nie gemacht, wenigstens nicht, soweit ich wusste.
Morgen beim Frühstück würde ich versuchen, mehr aus ihr herauszukitzeln.
Als ich am nächsten Morgen nach unten kam, war Emily schon zum College gefahren. Sie hatte Mom erzählt, sie müsse noch Hausarbeiten schreiben und jede Menge lernen.
Ja, klar. Sie wusste, dass ich sie durchschaut hatte, und versteckte sich am College.
Am Wochenende versuchte ich ein paarmal, sie anzurufen, aber offenbar ging sie bei misstrauischen Brüdern nicht an ihr Handy.
Garantiert heckte sie irgendwas aus. Nur was?
Savannah
Nachdem Tristan mein Zimmer verlassen hatte, ging ich nach unten und drehte meine Pflichtrunde durch die Menge. Ich lächelte und tat so, als würde ich mich auf Dads Party großartig amüsieren. Aber als die ersten Gäste gingen, holte ich mir einen mit Blut gemischten Saft aus dem Kühlschrank und verzog mich in mein Zimmer.
Zum ersten Mal war ich froh darüber, dass ich mich in den Bluterinnerungen verlieren konnte.
Am nächsten Tag ließ Dad mich ausschlafen. Er wollte lieber Sonntag mit mir ein neues Auto aussuchen. Nachdem ich mich durch eine halbe Stunde Tai-Chi und eine Dusche gequält hatte, lieh mir Dad sein Auto. Ich musste zur Partyscheune am Stadtrand fahren und mit den anderen Charmers alles für unseren jährlichen Maskenball heute Abend vorbereiten. Weil ich mich sowieso nur dreckig machen würde und es niemanden interessierte, wie ich rumlief, würde ich dieses Jahr ganz furchterregend als ich selbst gehen und meinen Trainingsanzug der Charmers anziehen. Mich in mein Feenkostüm von gestern Abend zu quetschen und mir wieder die Haare hochzubinden stellte ich mir nicht besonders lustig vor.
In der riesigen Scheune stürzte ich mich in die Arbeit. Ich wischte Spinnweben von den Wellblechwänden, fegte den Betonboden und dachte ganz bewusst nicht daran, wie mich ein gewisser Junge in glänzender Plastikrüstung einmal aufgefangen hatte, als ich von der wackligen Leiter gefallen war. Wir dekorierten stundenlang, stellten Klapptische auf und verteilten auf ihnen die mitgebrachtenDesserts, die als Preise für den Kostümwettbewerb und die Reise nach Jerusalem gedacht waren. Eine weitere Stunde ging dafür drauf, die Snacks, Süßigkeiten und Limos auszuladen, die ich heute Abend an unserem Stand verkaufen sollte.
Und dann war es auch schon so weit: Wir mussten die Tür öffnen und die Gäste hereinlassen.
Als Tristan und Bethany kamen, rührte ich so konzentriert in der Käsesoße, dass ich nicht hinsehen musste. Ich wollte gar nicht wissen, wie perfekt ihre Kostüme zueinanderpassten oder wie glücklich Bethany an seinem Arm strahlte.
Später trudelten Carrie, Michelle und Anne ein und kamen zum Imbissstand, um Hallo zu sagen. Sie waren vollkommen unterschiedlich verkleidet. Anscheinend war es also Carrie und Anne gelungen, Michelle die Gruppenkostümierung auszureden.
„Geht doch schon rein, ich komme gleich nach“, schlug Anne den Mädels vor. Als die beiden Richtung Tanzfläche abzogen, drehte Anne sich zu mir um. „Hör mal, wegen unserem Streit neulich – gestern Abend konnte ich mich nicht entschuldigen, mit deinem Clann-Besuch und allem, aber ich wollte sagen, dass es mir leidtut. Vielleicht hast du recht und ich bin wegen Ron wirklich zu sehr ausgerastet.“
„Hast du ihn schon angerufen?“, fragte ich.
Sie ließ den Blick über die Snacks wandern, als wollte sie etwas kaufen. Aber ich kannte sie zu gut, um ihr das abzunehmen. Sie wollte mir nur nicht in die Augen sehen.
„Anne“, seufzte ich.
„Ich überlege noch, was ich sagen will, okay?“
Da war heute aber jemand schnippisch. Weil sie wusste, dass ich recht hatte. „Na gut. Aber wenn du anrufst und er dich sofort zurücknimmt, denk daran: Ich hab’s dir gleich gesagt.“
Sie schnaubte: „Wenn du an das denkst, was du versprochen hast, falls er es nicht tut.“
Eine Wildschweinjagd. „Das passiert nie im Leben. Jetzt mach schon und ruf ihn an.“
Sie trommelte mit den Fingern auf den Tresen. „Ach, das kann ich mir doch sparen, wenn er heute Abend herkommt. Dann kannich einfach mit ihm reden.“
„Wenn du feiges Huhn nicht wieder kneifst“, murmelte ich.
„Ich bin kein feiges Huhn“, grummelte Anne.
Die Tür öffnete sich für den nächsten Gast. Es war Ron.
„Ich gehe mal lieber zu den Mädels.“ Anne drehte sich in die andere Richtung und tat, als
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