Herzblut 02 - Stärker als der Tod
es im Zimmer gegenüber rumpelte.
Ich sah nach und erwischte meine Schwester dabei, wie sie ihre Tür schloss, nachdem sie einen Blick zum Zimmer unserer Eltern geworfen hatte.
Emily heckte doch irgendwas aus.
Ich schoss aus meinem Zimmer und fing sie vor der Treppe ab. „He, Schwesterherz. Ich dachte, du wärst längst unterwegs zu deinem Wohnheim.“
„Pst“, zischte sie und sah wieder zu der geschlossenen Schlafzimmertür.
Böse, böse Schwester.
„Schleichst du dich raus?“, fragte ich grinsend.
„Ich schleiche mich nicht raus“, flüsterte sie. „Ich will jemanden besuchen. Mom weiß Bescheid.“
Lügnerin. „Einen Er oder eine Sie?“
Sie setzte eine Unschuldsmiene auf. „Warum fragst du?“
„Ach, keine Ahnung. Vielleicht weil du einen kurzen Rock trägst und dich neu geschminkt und parfümiert hast? Sicher, dass du nicht eher zu einer Halloweenparty gehst?“
Nach einem winzigen Zögern verdrehte sie die Augen, legte warnend einen Finger an die Lippen und winkte, damit ich ihr nach unten in die Küche folgte.
Sie lehnte sie gegen die Kochinsel, verschränkte die Arme und sah mich böse an. „Na schön, du hast mich erwischt. Zufrieden? Ich gehe wirklich zu einer Party. Aber sag Mom und Dad nichts davon, sonst bringen sie mich um, okay?“
Stille machte sich breit, während ich so tat, als würde ich überlegen. Ich ging an ihr vorbei zum Kühlschrank und stöberte in den Plastikdosen nach etwas Essbarem.
Schließlich seufzte ich laut: „Okay. Aber dafür habe ich bei dir was gut. Wieso gehst du eigentlich heimlich? Du bist doch jetzt auf dem College. Da kannst du doch auf Partys gehen. Warum sagst du nicht einfach die Wahrheit?“
„Mom hat sich komisch benommen, als wir nach Hause gekommen sind. Sie hat erzählt, Tante Cynthia hätte sie angerufen, als sie mit Dad ein Eis gegessen hat. Tante Cynthia glaubt, dass sie und Onkel James einen Stalker haben. Sie haben das Gefühl, als würde jemand sie überall beobachten. Und jetzt wollten sie wissen, ob es anderen Nachfahren auch so geht. Also lässt Mom wieder die Glucke raushängen. Sie wollte, dass ich heute hier schlafe, damit ich nicht im Dunkeln über den Campus gehen muss.“
Tante Cynthia war Moms Schwester. Jedes Jahr besuchten wir Onkel James, Tante Cynthia und ihre beiden Töchter Kristie und Katie in New York, meistens zu Silvester.
Ich entdeckte eine durchsichtige Plastikdose mit Garneleneintopf im Kühlschrank. Mom hatte wieder ein Rezept von Paula Deen ausprobiert. Ich stellte die Dose in die Mikrowelle und schaltete auf Erwärmen. „Hm. Normalerweise ist Tante Cynthia nicht besonders ängstlich. Hat Mom noch mehr erzählt?“
„Nein.“ Emily öffnete die Mikrowelle, zog den roten Deckel derPlastikdose an einer Ecke hoch und schaltete die Mikrowelle wieder ein. „Außerdem bin ich längst wieder hier, wenn sie aufwachen. Also warte nicht auf mich, okay?“
„Viel Spaß. Ruf mich an, wenn du sicher nach Hause kommen willst.“
„Danke, kleiner Bruder. Aber ich trinke heute nicht. Am Ende darf wahrscheinlich ich alle nach Hause fahren.“ Zwei Sekunden bevor die Mikrowelle fertig war und laut Ping machen konnte, öffnete sie die Tür. Wie üblich sorgte sie dafür, dass unsere Eltern uns hier unten nicht hörten und nachsehen kamen.
„Lass das Verdeck unten. Dann können sie aus dem Auto kotzen statt auf den Boden.“ Ich nahm einen Löffel und rührte mein dampfendes Essen um.
„Eklig. Aber eine gute Idee.“ Sie zog angewidert die Nase kraus, dann grinste sie und verschwand mit einem Winken in der Garage. Einen Moment später fuhr das Garagentor quietschend hoch. Bestimmt fluchte Emily jetzt, weil sie auf ihrer Flucht so einen Lärm veranstaltete.
Ich schnappte mir eine Limodose und das Essen, verbrannte mir an der heißen Unterseite die Finger und lief nach oben in mein Zimmer, um mir beim Essen eine alte Folge South Park anzusehen.
Aber etwas stimmte nicht, und ausnahmsweise war es nicht nur meine Beziehung zu Savannah.
Das Gespräch mit Emily war irgendwie … seltsam gewesen. Als ich sie erwischt hatte, hatte ihr Lächeln etwas zu verlegen gewirkt. Und sie war der Frage ausgewichen, ob sie einen Freund oder eine Freundin besuchen wollte. Dann dieses Zögern und wie sie mich angefunkelt hatte, bevor sie mit dem Geständnis herausgerückt war. Und wie schön sie mich mit dem Familienklatsch abgelenkt hatte.
Sie hatte gelogen.
Ich irrte mich ganz bestimmt nicht. Dazu hatte ich schon zu oft gesehen,
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