Herzblut 02 - Stärker als der Tod
zuwarfen. Denn wahrscheinlich hatten sie recht. Also zog ich einfach den Kopf ein, setzte mich in der Pause draußen unter den Baum, unter dem ich mich immer geerdet hatte, und wartete darauf, dass der Sturm vorüberzog.
Nach dem Unterricht freute ich mich richtig auf zu Hause. Ich wollte nur noch etwas essen, ein paar Hausaufgaben machen und ins Bett fallen.
Ich parkte in unserer großen Vierergarage, stieg aus und ging im Halbdunkeln zur Tür, die in die Küche führte.
Auf halbem Weg hörte ich plötzlich schreckliche Schreie.
Ich rannte die letzten Schritte und riss die Tür auf. Ich dachte, jemand würde auf dem Boden liegen und verbluten.
Stattdessen stand Dad in der Küche, drückte mit einem Arm Mom an sich und tippte mit der freien Hand wild auf seinem Handy herum. Was zum …
Als ich hereinkam, sah er auf, und in seinen Augen blitzte ein Funken Erleichterung auf. „Tristan, du bist zu Hause. Gut. Ruf bitte deine Schwester für mich an.“
„Was ist …“, wollte ich fragen.
„Sie sind tot!“, schrie Mom. Ihre knochigen Fingern krallten sich in Dads kräftige Arme. „Cynthia, James, die Mädchen. Dieser blutrünstige untote Abschaum hat sie abgeschlachtet wie die Tiere. Ich bringe sie um. Ich bringe sie alle um!“
Dad brummte beruhigend, drückte sie an sich und rieb ihr mit seiner großen Hand über den Rücken. Über ihren Kopf hinweg sah er mich durchdringend an.
„Die Polizei hat deine Tante Cynthia, deinen Onkel James und deine Cousinen zu Hause tot aufgefunden. Anscheinend wurdensie ermordet …“
„Von Vampiren“, zischte Mom. Spucke sprühte von ihren Lippen, ihre Augen waren weit aufgerissen und wanderten wild hin und her. So hatte ich sie noch nie erlebt. Sie wirkte völlig außer sich. Und gefährlich.
Langsam begriff ich, was sie gesagt hatten. Ich musste mich am Türrahmen festhalten.
Meine Tante, mein Onkel und meine Cousinen waren alle tot. Vielleicht von Vampiren ermordet.
Wir hatten sie nur ein paar Tage im Jahr gesehen, meistens hatten wir mit ihnen in New York Silvester gefeiert, allzu nah standen wir ihnen also nicht. Trotzdem gehörten sie zur Familie …
Ich dachte daran, wie ich Katie und Kristie an Silvester vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen hatte, ständig fröhlich und kichernd, mit Sommersprossen und wippenden blonden Locken.
Dieses Jahr wären sie zehn geworden.
„Seid ihr sicher, dass es …“
Dad nickte. „Als deine Mutter Tante Cynthia den ganzen Tag nicht erreichen konnte, hat sie andere Nachfahren aus New York gebeten, in ihrer Wohnung nachzusehen. Die haben sie gefunden und die Polizei gerufen …“
Wieder schrie Mom auf.
„Komm, Schatz, wir gehen erst mal nach oben“, schlug Dad vor und versuchte Mom Richtung Flur zu schieben.
„Ich will nach New York“, schluchzte sie. „Ich muss sie sehen.“
Dad und ich tauschten einen Blick. Es wäre keine gute Idee, wenn Mom in diesem Zustand fahren würde. Sie konnte fast genauso gut zaubern wie Dad, in manchen Bereichen war sie vielleicht sogar besser als er. Das machte sie zu einer geladenen Waffe, die jederzeit losgehen konnte. Normalerweise hielt sie ihre Fähigkeiten unter Kontrolle, weil sie meinte, dass der Anstand das gebot, und weil sie die Geheimnisse des Clanns schützen wollte.
Aber jetzt hatte ein Vampir ihre einzige Schwester mit ihrer gesamten Familie ermordet. Nichts würde sie davon abhalten, in New York sämtliche Geschütze aufzufahren.
Dad würde diese Woche alle Hände voll damit zu tun haben,
Mom einigermaßen zu beruhigen, damit sie nicht ausflippte.
„Ich rufe Emily an und sage ihr Bescheid“, versprach ich Dad, als er Mom nach oben führte.
Emily meldete sich beim zweiten Klingeln. „Was gibt’s?“
„Ähm, ich habe schlechte Neuigkeiten. Tante Cynthia und Onkel James und die Mädchen …“ Mir schnürte sich die Kehle zu. Ich musste mich räuspern, bevor ich weitersprechen konnte. „Sie … sie sind tot, Em.“
„Was? Was ist passiert?“, keuchte sie.
„Sie glauben, dass es Vampire waren.“ Wenn ich das nur sagte, wurde mir schlecht. Ich stützte mich mit einer Hand am kalten Granit der Kücheninsel ab und ließ den Kopf hängen.
„Mein Gott“, flüsterte Emily. „Sind sie sicher?“
„Dad meint, ziemlich sicher. Ein Nachfahre hat sie gefunden.“
„Könnte es nicht sein, das es jemand nur so aussehen lässt?“ Im Hintergrund dröhnten Hupen. Wahrscheinlich raste Emily noch wahnsinniger als sonst durch Tyler.
„Kann sein. Kommst du
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