Herzblut 02 - Stärker als der Tod
Schon als ich jung war, stand fest, dass er später der Anführer des Clanns werden sollte.“
Das war keine richtige Antwort auf meine Frage. Als ich sicher war, dass ich nicht mehr weinen musste, riskierte ich einen Blick. Sie hielt das Lenkrad so fest gepackt, dass ihre Knöchel trotz der gebräunten Haut kalkweiß waren.
„Er hat von dir gesprochen“, sagte ich. „Du weißt schon, als Dad und ich im Zirkel waren.“
Sie sah mich nicht an.
Nach langem Schweigen fragte ich: „Mom?“
Sie seufzte. „In der Highschool war ich mit Sam Coleman befreundet.“
Wow, damit hatte ich nicht gerechnet. „War es was Ernstes?“
„Zumindest so ernst, dass er mich am Anfang des letzten Schuljahrs heiraten wollte.“
„Aber du hast ihn nicht geheiratet, weil du … Dad kennengelernt hast?“
Sie schüttelte den Kopf. „Als ich Sam gesagt habe, dass ich ihn nicht heiraten kann, kannte ich deinen Vater noch nicht. Ich wollte ja nicht mal zum Clann gehören. Da wollte ich ganz sicher nicht den zukünftigen Anführer heiraten, auch wenn ich Sam sehr mochte. Also haben wir Schluss gemacht.“
„Und dann hast du Dad getroffen und bist mit ihm durchgebrannt.“
Sie nickte.
„Hast du Dad wirklich geliebt? Oder hast du es nur gemacht, weil er ein Vampir ist?“
Jetzt sah sie mich doch an. „Ach Savannah, so einfach ist das nicht. Wenn ich jetzt zurückdenke, hat wahrscheinlich alles zusammengespielt. Michael sah umwerfend aus, er war gefährlich und gleichzeitig höflich und hat für mich den Beschützer gespielt. Es war nicht schwer, sich in ihn zu verlieben. Dass er die perfekte Möglichkeit war, den Clann zu verlassen, hat ihn für mich noch attraktiver gemacht.“
„Ich dachte, man könne jederzeit gehen, wenn man will.“ Bei ihr hörte es sich fast an, als wäre der Clann eine Gang.
„Kann man auch, wenn man nicht so eine Mutter hat wie ich. Mom wollte mich unbedingt so lange wie möglich im Clann halten. Sie dachte immer, ich würde unsere Fähigkeiten irgendwann mit anderen Augen sehen, ich würde es mir schon noch überlegen und weiterlernen.“
„Aber dann hat der Clann rausgefunden, was zwischen dir und Dad lief, und hat euch rausgeworfen.“
„Ja. Dummerweise ist mein Plan ein bisschen nach hinten losgegangen.Ich hätte nie gedacht, dass sie Mom die Schuld an meinem Verhalten geben und sie auch rauswerfen würden.“
Langsam verstand ich, warum sie mit Dad weggelaufen und erst Jahre später wegen mir zurückgekommen war. Und warum sie die Stelle als Vertreterin angenommen hatte, bei der sie so häufig unterwegs war.
Sie lief nicht nur vor Jacksonville oder dem Clann davon oder weil sie nicht meinen Blutdurst wecken wollte. Sie wollte auch Sam Coleman und ihrer Vergangenheit entkommen.
Das konnte ich ihr nicht mal verübeln. Wenn ich glauben würde, dass ich irgendwo anders meine ganzen Fehler vergessen könnte, würde ich sofort die Koffer packen. Was der Vampirrat wollte, wäre mir dann vollkommen egal.
Leider war ich nicht so gut im Verdrängen wie Mom. Nicht mal am anderen Ende der Welt könnte ich meinem Spiegelbild oder der Erinnerung an meine Entscheidungen entkommen.
Aber wenn es Mom besser ging, solange sie weglief, sollte sie es ruhig tun. Zumindest wäre es für sie sicherer, weit weg vom Stammsitz des Clanns zu sein. Und von Dad und mir.
Ich war froh, als wir beim Wohnmobilhändler ankamen. Normalerweise war es wirklich nervig, mit Mom einkaufen zu gehen, weil sie alles ganz toll fand und sich nicht entscheiden konnte. Aber dieses Mal hatte sie sich vorher informiert und war sich erstaunlich sicher, was sie von ihrem neuen Zuhause auf Rädern erwartete. Sie fuhr nur mit zwei Modellen Probe, bevor sie sich für einen schicken Wohnwagen entschied, den sie an ihren Pick-up hängen konnte. So konnte sie den Anhänger auf Campingplätzen stehen lassen, während sie durch Wälder und Felder fuhr und Chemikalien und Arbeitsschutzprodukte an ihre Kunden auslieferte.
Sie unterschrieb die Papiere mit einem zufriedenen Lächeln und zog den Wohnwagen nach Hause. Als sie Dad ganz stolz und aufgekratzt die modernisierte Inneneinrichtung zeigte, war ich fast ein bisschen neidisch auf sie.
Wenigstens konnte eine von uns ihre Freiheit genießen.
Die Beerdigung am Samstag war noch furchtbarer, als ich gedachthatte. Ich konnte einfach nicht Nanna in ihrem offenen Sarg in der Kirche ansehen, in der sie jeden Sonntag Klavier gespielt hatte. Über ihren Tod und darüber, was die Gründe dafür
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