Herzblut 02 - Stärker als der Tod
vorsichtig fuhr. Also wollte er mich im Grunde warnen, dass ich auf jedes Wort achten und nicht vergessen sollte, wer mein Begleiter war. Als ich ihm mit einem Nicken zeigte, dass ich ihn verstanden hatte, wirkte sein Lächeln um einiges weniger gezwungen.
Gowin lachte und öffnete die Tür. „Ach, Michael, du machst dir zu viele Sorgen. Wir sind unsterblich. Da erholen wir uns auch von einem kleinen Unfall – früher oder später.“
Kichernd ging Gowin voraus zu meinem Auto. Nachdem ich eingestiegen war und den Motor angelassen hatte, warf ich einen Blick zurück zum Haus. Dad stand noch auf der Veranda. Er hatte sich gegen einen der geschnitzten Pfeiler gelehnt, aber diese lockere Pose konnte nicht verbergen, wie angespannt er war.
„Wo soll es denn hingehen?“, fragte ich.
„Ach, keine Ahnung. Sollen wir mit den Läden in der Innenstadt anfangen?“
„Warum nicht.“ Wir überquerten die Bahngleise, die zehn Meter neben unserem Haus verliefen, und parkten fünfzehn Sekunden später vor dem Jaycee Community Center gegenüber der Tomato Bowl.
Gowin schnaubte. „Das ist doch ein Witz.“
„Nein. Wollen wir aussteigen und laufen?“ Ich saß nicht gern so eingepfercht mit ihm in einem Auto, wenn ich mich auch noch aufs Fahren konzentrieren musste. Dabei fiel es mir schwerer, mich auf unser Gespräch zu konzentrieren und meine Antworten sorgfältig zu überlegen.
Er stieg zuerst aus, und ich ging zu ihm auf den Bürgersteig.
Er deutete auf die Tomato Bowl, ein Freilichtstadion aus Sandstein mit hübschen Bögen am Eingang, das auf einem Hügel thronte. „Warum heißt das Stadion Tomato Bowl?“
Seine Frage überraschte mich. Ich hätte gewettet, dass er mich sofort aushorchen würde. Oder zögerte er das hinaus, weil wir noch in Dads Hörweite waren?
„Ähm, Jacksonville hat früher die meisten Tomaten in der ganzen Gegend angebaut.“ Natürlich hatte ich das meiste vergessen, was wir in der Schule über Stadtgeschichte gelernt hatten, aber ich spielte bei dieser albernen Nummer mit der Stadtführung mit, so gut es ging. Wenn ich konnte, beantwortete ich seine Fragen, wenn nicht, gab ich zu, dass ich keine Ahnung hatte. Ich folgte ihm, vorbei an Banken und Geschäften und unter einer Überführung hindurch, über die Autos donnerten. Danach kamen Boutiquen und Läden für Kunsthandwerk. In einigen von ihnen hatte Nanna ihre gehäkelten Namensdeckchen und Decken verkauft.
Was mich noch mehr überraschte, waren die Gefühle, die Gowin unterwegs ausströmte. Er wirkte tatsächlich interessiert. Außerdem spürte ich eine gewisse Wärme bei ihm. Nicht in romantischer Hinsicht. Eher als würde er mich einfach mögen wollen. Es war … komisch. Bei meiner Prüfung hatte der Rat solche Angst vor mir gehabt, und jetzt spazierte einer von ihnen neben mir her und plauderte mit mir, als wäre er mein Cousin und wir würden uns nach ewigen Zeiten mal wieder sehen.
Wir blieben vor einem Geschäft stehen, und er spähte durch das Schaufenster. „Du fragst dich bestimmt, warum ich dich um diese Stadtführung gebeten habe.“
„Ja, schon“, gab ich zu. „Ich dachte, du willst mich vielleicht einlullen, bevor du mich ausfragst.“
Er lachte und zog eine Augenbraue hoch. „Dich ausfragen? Wohl kaum. Obwohl ich zugeben muss, dass ich dich faszinierend finde, genau wie die anderen Ratsmitglieder. Für unsere Art bist du wirklich etwas Besonderes. Ein echtes Wunder, könnte man sagen. Ich würde dich gern mit tausend Fragen löchern, über dein Leben, deine Fähigkeiten, über deine ersten langsamen Schritte in unsere Welt. Sie waren wohl nicht ganz einfach.“
Ich zuckte leicht mit einer Schulter, wagte aber noch nicht, etwas zu sagen. Bis jetzt war es viel zu glatt gelaufen. Das machte mich noch nervöser. „Vielleicht habe ich auch ein paar Fragen.“
„Etwas, das du deinen Vater nicht fragen willst?“, wollte er wissen. „Schieß los. Das ist einer der Gründe, warum der Rat eingewilligt hat, dass ich herkomme.“
„Na gut. Wie ist es, wenn man verwandelt wird? Auf die übliche Art, meine ich.“
„Na ja, es ist wohl bei jedem etwas anders. Aber normalerweise trinkt der Vampir dein Blut, gibt dir sein Blut zu trinken, und dann geht es ganz schnell, und es ist erschreckend und aufregend. Gerade bist du noch ein Mensch, und im nächsten Moment wachst du auf und erinnerst dich an nichts. Die Erinnerungen kommen zurück, aber langsam, meist Tage oder sogar Wochen später. Deine Sinne werden
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