Herzblut - Gegen alle Regeln (German Edition)
Dreiviertelstunde. Im Kern ging es nur um eine Sache.
„Was hast du dir dabei gedacht, in der Öffentlichkeit deine Kräfte einzusetzen? Du hast damit alles aufs Spiel gesetzt, was wir hier haben. Und zwar nicht nur für deine Familie, sondern für jedes einzelne Mitglied des Clanns! Ich fasse es nicht, dass ich so einen verantwortungslosen Idioten großgezogen habe.“ Mit ihren Absätzen grub sie Spuren in den Teppich. Wenn sie so weitermachte, musste sie Dad für sein Arbeitszimmer bald einen neuen kaufen. „Wie oft müssen wir es dir noch sagen? Unsere Macht kann jederzeit bröckeln. Wenn diese fanatisch religiösen Landeier herausfinden, was wir können, haben sie uns alle aus der Stadt vertrieben, bevor du Hexenjagd sagen kannst.“
Bis jetzt hatte Dad mit finsterem Blick, aber stumm auf einer Schreibtischecke gehockt. Aber jetzt schaltete er sich ein. „Na ja, Nancy, so weit würde ich nicht gehen …“
„Und du! Du bist für seine Ausbildung verantwortlich“, fuhr sie ihn an. „Was hast du dir dabei gedacht, ihm solche Kräfte beizubringen? Seit die Vampirkriege beendet sind, lehren wir keine Kampftechniken mehr, Samuel. Und selbst damals wurden sie nur gegen diesen untoten Abschaum eingesetzt, niemals gegen unsere eigenen Leute.“
„Aber …“, setzte ich an.
Dad warf mir einen warnenden Blick zu, und ich hielt die Klappe und blieb in dem Ledersessel vor seinem Schreibtisch hocken.
„Nancy, geh doch nach oben ins Bett und lass mich das regeln, ja?“, bat er.
„Ich will, dass er die Mannschaft verlässt.“
Auf keinen Fall. Das konnte Mom mir doch nicht antun. Sie wusste, dass ich irgendwann in der NFL spielen wollte. Schon immer. Wenn sie mich im zweiten Highschooljahr aus der Footballmannschaft holte, würde das keinen guten Eindruck auf die Trainer und Talentscouts machen. Und mir die Statistiken vermasseln.
„Nancy …“, versuchte Dad es noch einmal.
„Nein, Sam.“ Mit entschlossenem Blick starrte sie auf mich hinab. „Ich wollte nie, dass er eine Kontaktsportart ausübt, das weißt du. Das ist für Nachfahren nicht sicher. Dylan sollte auch keinen Sport treiben. Aber er soll später wenigstens nicht den Clann anführen. Tristan schon. Und was heute Abend passiert ist, gibt mir recht. Tristan könnte wieder die Kontrolle verlieren, und zwar schlimmer. Was, wenn er jemanden wirklich verletzt? Oder selbst verletzt wird? Was wird dann aus dem Clann?“
„Mom, ich …“
„Du hast es verbockt, Tristan Glenn Coleman“, schrie sie. „Du kennst die Regeln so gut wie jeder andere. Wenn wir dich nicht bestrafen, tut es der Clann. Also kein Football mehr. Oder Basketball. Oder irgendeine andere Sportart. Vielleicht konzentrierst du dich dann endlich auf deine Magieausbildung, statt deine Zeit zu verplempern.“
In diesem Moment wusste ich es. Ich konnte den Sieg in ihren Augen sehen. Heute Abend hatte ihr meine Dummheit die perfekte Gelegenheit verschafft, mich zu nichts anderem als Schule und Magieausbildung zu verdonnern. Genau, wie sie es schon immer gewollt hatte.
Wut brannte in mir, aber ich hielt meine Energie mit ganzer Kraft zurück und drückte das Level durch bloßen Willen nach unten.
„Deine Mutter hat recht.“ Dad seufzte. „Du musst bestraft werden, zumindest für das restliche Schuljahr, und zwar öffentlich. Sonst wird der Clann Forderungen stellen. Wenn wir es selbst in die Hand nehmen, können wir zumindest entscheiden, wie die Strafe ausfällt.“
„Was? Soll ich jetzt etwa dem Schachklub beitreten?“ Das passierte jetzt nicht wirklich, oder? Das war ein Albtraum. Ich würde doch bald aufwachen, stimmt’s?
„Schachklub, Spanischklub, das ist mir egal, solange es kein Sport ist“, antwortete Mom, bevor sie ging.
„Tut mir leid, mein Sohn.“ Dad legte mir seine schwere Pranke auf die Schulter. „Immerhin läuft die Saison sowieso nur noch einen Monat.“
„Aber wir sind in den Play-offs.“
„Dir bleibt ja noch das nächste Jahr. Wenn du dich anständig benimmst. Und wehe, mir kommt irgendwas über eine Rache an Dylan zu Ohren. Es ist nicht seine Schuld, dass du dich nicht beherrschen konntest.“
Ich sah Dad finster an.
„Was soll ich denn sagen? Du hast es heute Abend richtig vermasselt. Von der Tribüne hat es wie ein normaler Stoß ausgesehen, sonst würde das Telefon schon heiß laufen. Was hast du überhaupt mit Dylan gemacht? Wir wissen beide, dass ich dir so etwas nicht beigebracht habe.“
Ich zuckte leicht mit der Schulter.
Weitere Kostenlose Bücher