Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
abgedunkelten Raum stand, verfolgte er gespannt jede ihrer Regungen, jede Veränderung ihrer Mimik. Herauslesen konnte er daraus jedoch nichts. Die beiden starrten gespannt durch die Glasscheibe auf die Personen, die ihnen dort vorgeführt wurden. Gegen Ende der Gegenüberstellung konnte Kluftinger sich nicht zurückhalten, auch wenn er wusste, dass man den Zeugen eigentlich viel Zeit lassen sollte, sie am besten selbst beginnen ließ. »Und?«
»Ja, ich meine, ich weiß nicht, also … ehrlich gesagt«, erklärte Hübners Nachbar.
Kluftinger wandte sich der Frau zu, die in ihrer Imbissschürze gekommen war. »Also, ich weiß auch nicht so recht, Herr Kommissar, es könnte sein. Aber es war ja auch wirklich dunkel, an dem Abend.«
»Aha. Vielleicht, vielleicht auch nicht«, fasste er zusammen. »Schade. Trotzdem danke. Falls Sie noch was loswerden wollen, Sie wissen ja, wo Sie uns finden.«
»Ich fürchte, wenn wir weiter nix haben, müssen wir die wieder gehen lassen.« Kluftinger seufzte. Gerade hatte Lodenbacher angerufen, um sich über die neuesten Erfolge »updaten« zu lassen, wie er es formuliert hatte. Leider konnten sie ihm mit solchen nicht dienen, und so hatten sie zur Ablenkung Maier mit ihm über mögliche Pressestrategien fachsimpeln lassen.
»Himmelherrgott, es muss doch was geben, womit wir sie festnageln können.« Strobl klang verzweifelt. »Stellt euch vor, wir lassen die ziehen, und dann passiert wieder was.«
»Ja, oder noch schlimmer: Wir behalten sie da, und es passiert wieder was«, setzte Hefele hinzu.
Sie ließen die Köpfe hängen.
»Wenn wir morgen früh keine zündende Idee haben, lassen wir sie wieder laufen«, fällte Kluftinger schließlich eine Entscheidung. »Einstweilen haben sie’s bei uns auch nicht weniger komfortabel als in ihrer Wohnschachtel. Und bis dahin sind wir rechtlich auf der sicheren Seite.« Er verabschiedete sich kurz und ging niedergeschlagen in sein Büro.
Er suchte die Vertrautheit seiner normalen Umgebung, und kaum saß er auf seinem Stuhl, fühlte er sich tatsächlich ein klein wenig besser. Als dann sogar noch Sandy hereinkam, um ihn vor dem Feierabend zu fragen, ob er noch etwas brauche, irgendwas, einen Tee vielleicht, spendete ihm das zusätzlichen Trost. Dennoch: Über allem lag wie ein Schleier noch immer diese Mattigkeit und schwer zu beschreibende Abgeschlagenheit. Wieder einmal wurde ihm klar, wie sehr er seinen Alltag liebte, das Normale, Vorhersehbare, die Routine. Unvorstellbar, dass er sich einmal für diesen Beruf entschieden hatte, weil ihm die Nicht-Planbarkeit, das Spontane, so reizvoll erschienen war. Immer da zu sein, wo gerade etwas passierte. Was war nur aus ihm geworden auf seine alten Tage? Oder sollte er sagen:
auf seine letzten Tage?
Sein Vorhaben fiel ihm wieder ein. Er hatte es schon viel zu lange vor sich hergeschoben. Nun wollte er nicht mehr damit warten. Sollte, wann und aus welchen Gründen auch immer, der letzte Vorhang fallen, er unerwartet abtreten müssen von dieser großen Bühne, dachte er feierlich, so wollte er wenigstens kein Chaos hinterlassen.
Er stand auf, holte ein frisches Blatt Papier aus dem Drucker, setzte sich, nahm einen Kugelschreiber, ließ seine Hand über dem Papier kreisen, um sie dann andachtsvoll nach unten zu führen und in seiner krakeligen Kinderschrift zu notieren:
Mein Testament
Er schaute sich die Worte einige Sekunden an, dann schüttelte er den Kopf. Sie schienen ihm unangemessen, und er strich sie wieder durch. Darunter setzte er eine neue Formulierung:
Mein Testament
Mein letzter Wille
Ja, das war angemessen, das hatte Größe, wies bedeutungsvoll über sein Dahinscheiden hinaus. Sein Wille immerhin würde ihn überdauern. Er nickte gravitätisch, hielt dann jedoch inne und strich auch diese Überschrift noch einmal durch. Mit ernster Miene schrieb er dann:
Mein Testament
Mein letzter Wille
Mein Vermächtnis
Das war es! Natürlich, er würde etwas hinterlassen, was mehr war als sein materielles Erbe. Ergriffen vom Pathos seiner eigenen Gedanken, grübelte er über die nächsten Worte nach, immer in dem Bewusstsein, dass es die letzten wären, die man von ihm lesen würde.
Hiermit gebe ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, wenn auch der körperlichen etwas ermangelnd
Den letzten Halbsatz strich er sogleich wieder durch, er wollte ja nicht als gebrechlicher Mann in Erinnerung bleiben.
meinen Nachlass bekannt.
Meine Frau Erika
Meine angetraute Frau
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