Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
Schlüssel im Schloss der Wohnungstür.
»Vatter? Bist du dahoim?«, tönte es kurz darauf aus dem Gang.
Ein junger Mann betrat den Raum, vielleicht Mitte zwanzig. Er schien ein wenig verwundert über die Besucher, die er nickend grüßte.
»Die Herren sind von der Polizei, Martin. Sie wollen was über den Doktor Steiner aus Oberstaufen wissen und über diesen Versicherungsheini. Stell dir vor, die sind umgebracht worden.«
»Nix anderes hat er verdient. Aber reg dich bloß nicht zu sehr auf, Vatter, du weißt ja, dass du dich schonen musst.« Dann wandte er sich an die Polizisten. »Wie Sie wissen, ist mein Vater schwer herzkrank, bitte nehmen Sie Rücksicht darauf, ja? Wenn Sie sich ein bissle kurz fassen würden«, sagte er in forschem Ton. »Ich geh rüber in die Küche und räum auf, Vatter!«
Baur lächelte ihn dankbar an.
Keine fünf Minuten später fuhr der Kommissar wieder in Richtung Altusried. Versuchte, die neuen Aspekte in ihre bisherige Ermittlung einzuordnen. Waren sie mit den Jahrmarktsleuten einfach auf eine falsche Fährte geraten? Gab es da gar keinen Zusammenhang? Und was war mit Baurs Sohn? Konnte es sein, dass dieser treusorgende Junge das Unglück seines Vaters rächen wollte? Er hatte ein Alibi für die Mordnächte angegeben, aber überprüft war es noch nicht. Er würde Martin Baur jedenfalls noch einmal getrennt vom Vater vernehmen, dann würde man schon sehen. Und am nächsten Morgen würde er sich mit dieser Frau Burlitz unterhalten. Er hoffte nur, dass ihn das ein wenig weiterbringen und nicht wieder in eine ganz neue Richtung lenken würde. Langsam wurden die ständige Unsicherheit und diese immer neuen Wendungen zur echten Belastungsprobe.
Es war schon spät, als er die Wohnung betrat, also sparte er sich seinen Feierabend-Schlachtruf. Er wäre wohl auch nicht mehr dazu in der Lage gewesen: Hatte er sich schon bei seiner ersten Heimfahrt heute wie erschlagen gefühlt, so spürte er nun ganz deutlich, dass er krank war. Nicht mehr belastbar. Er hörte den Fernseher aus dem Wohnzimmer und vermutete, dass Erika bereits bei einer ihrer Lieblingssendungen – entweder der Magazinsendung »mit diesem Moderator, der wo so nett lächelt« oder dieser Talkshow im Zweiten »mit diesem Moderator, der wo so nett aussieht« – eingeschlafen war. Als er die Tür jedoch öffnete, saß da nur sein Sohn auf der Couch, die Beine in Schlafanzughosen auf das Tischchen gelegt, den Blick gelangweilt auf die Mattscheibe gerichtet. Ohne ein Wort zu sagen, aber mit einem Seufzer, der aus dem tiefsten Inneren kam, ließ Kluftinger sich in seinen Sessel plumpsen.
Sie saßen eine Weile nebeneinander und guckten sich wortlos jene Magazinsendung an, in der es heute um die Zukunft des Urheberrechts ging, ein Thema, das Kluftinger ungefähr so sehr interessierte wie Schuppenflechte bei Lipizzanerpferden. Trotzdem blieb er sitzen. Seit sie die Wohnung von Vinzent Baur vorhin verlassen hatten, hatte sich dieses Gefühl in ihm eingenistet, ein Unbehagen, das noch nicht richtig greifbar war. Doch jetzt, hier neben Markus auf dem Fernsehsessel, wurde ihm plötzlich klar, was ihn umtrieb. Es war das Bild, das sich ihm dort in der kleinen Wohnung in Kempten geboten hatte: der todkranke Mann, der nur noch seinen Sohn hatte, der sich um ihn kümmerte. Und der das sogar gern zu tun schien.
Wie würde das bei ihnen laufen, wenn er … Nein, er wollte seinem Kind nie zur Last fallen. Aber zu wissen, dass es jemanden gab, der für einen da war, war eine beruhigende Vorstellung. Die ständigen Kabbeleien zwischen ihm und Markus, die schon zur Routine geworden waren, erschienen ihm in diesem Moment albern und unnütz. Musste man denn nicht die wenige gemeinsame Zeit genießen? Es musste doch noch einen anderen Weg für Vater und Sohn geben, zusammenzufinden, als eine todbringende Krankheit.
Mitten in diese Überlegungen hinein richtete sich Markus ein wenig auf und schob die zweite Bierflasche, die er sich bereitgestellt hatte, ein Stück nach links. In seine Richtung. Kluftinger bekam einen Kloß im Hals. Diese kleine Geste berührte ihn mit einer emotionalen Wucht, wie er sie lange nicht gespürt hatte. Was war zurzeit nur mit ihm los? Er griff sich die Flasche, stieß sie gegen die bereits halb ausgetrunkene, die danebenstand, nahm einen großen Schluck und schloss die Augen: Das war doch etwas ganz anderes als diese alkoholfreie Brühe, die er seit ein paar Tagen immer trank.
»Alles klar?«,
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