Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
bescheidenen Hütte.«
»Wohl eher die Hütte vom Chef, oder?« Kluftinger vermied es, den Pfarrer direkt anzusprechen. Zwar duzte ihn der Geistliche, allerdings rührte das noch aus alten Ministrantentagen her. Kluftinger dagegen scheute vor der vertraulichen Anrede zurück. Das lag wohl ebenfalls in seiner Zeit als Messdiener begründet, denn der Pfarrer hatte mit strengem Regiment und der ein oder anderen Backpfeife dafür gesorgt, dass der Respekt – und in manchen Fällen sogar die Angst – vor ihm die Jahre überdauert hatte.
»Na, was treibt dich her? Eheprobleme? Geldsorgen? Oder geht das Böse wieder um?«
Kluftinger spannte die Kiefermuskeln an. Der Mann schaffte es immer wieder innerhalb kürzester Zeit, dass er um Fassung ringen musste. »Er treibt mich her«, sagte der Kommissar mit Blick nach oben. Das nahm dem Geistlichen ein wenig den Wind aus den Segeln, und er setzte sich auf die Bank hinter Kluftinger.
»Ja, Seine Wege sind verschlungen. Also, wie geht’s dir?«
»Ganz gut. Und selbst?«
»Hm, bisschen viel Beerdigungen in letzter Zeit.«
Kluftinger lächelte bitter. »Bei mir auch.«
Die Turmglocken schlugen zur vollen Stunde und hallten im Inneren des Kirchenschiffs dröhnend wider. Die Männer saßen schweigend da und lauschten, bis der letzte Ton verklungen war.
Kluftinger fasste in seine Tasche und spielte mit dem Zettel, der sich dort befand. Er rang einen Moment mit sich, ob er den Pfarrer darauf ansprechen sollte. »Ich hab da was, da bräucht ich mal Hilfe«, begann er schließlich. »Von einem Experten, sozusagen.« Er reichte das Papier nach hinten.
»Mein Vermächtnis«, las der Priester laut vor, und der Kommissar meinte, einen ironischen Unterton aus seiner Stimme herauszuhören. Sofort bereute er, dieses intime Dokument einem Außenstehenden ausgehändigt zu haben. Andererseits kannte sich mit der Thematik wohl kaum jemand so gut aus wie der Pfarrer. Zudem kostete dessen Expertise nichts, abgesehen von der Kirchensteuer.
Der Geistliche las das Testament sorgfältig durch, bewegte dabei die Lippen, ohne die Worte laut auszusprechen, schmunzelte hin und wieder und blickte den Kommissar ab und zu streng an. Dann zog er einen Bleistift heraus und begann nun, mit süffisantem Grinsen zu korrigieren. Als er jedoch einige Dinge großzügig durchstrich und durch andere Passagen ersetzte, stieg in Kluftinger die kalte Wut hoch.
Er war doch kein Schuljunge mehr, dessen Hausaufgabe es zu verbessern galt. Noch dazu handelte es sich um ein Schriftstück, in dem er sein Innerstes nach außen kehrte. Gedanklich formulierte er ein leidenschaftliches Stoßgebet, dass der Herr doch ein Einsehen haben möge mit ihm, dass er doch schon auf einem guten Weg sei, dass er ihn aus dieser Situation …
In diesem Moment stimmte Kluftingers Handy die Bayernhymne an.
Sofort bewölkte sich das Gesicht des Geistlichen, und er funkelte Kluftinger mit einer Miene an, die nach Fegefeuer und jüngstem Gericht aussah. Der Kommissar jedoch war ganz entspannt, denn hier schien ja der Herr direkt auf sein Gebet geantwortet zu haben.
»Ja, Kluftinger«, sagte er in den Hörer. »Was? Einen Kreuztreffer? Nein, nein, passt wunderbar. Ich bin sofort bei euch.« Er stand rasch auf und riss dem Pfarrer das Papier aus den Fingern. »Ich lass es dann daheim vom Papa unterschreiben und bring’s wieder, Herr Pfarrer.«
»Aber bedenke: Auch die Kirche ist auf Spenden angewiesen. Ein kleiner, diesbezüglicher Vermerk im Testament sollte bei keinem gläubigen Katholiken fehlen«, rief ihm der Pfarrer hinterher, als er zum Ausgang eilte. »Wird dir auf die Zeit im Fegefeuer angerechnet werden. Und lass dich mal wieder in der Messe sehen – auch das Ritual des Gottesdienstes kann Trost in schwerer Zeit sein!«
Dann tauchte der Kommissar zwei Finger in den Weihwasserkessel, deutete ein schludriges Kreuzzeichen an, weil er wusste, dass der Pfarrer das hasste, und verließ die Kirche.
»Schau, das muss das Auto von diesem Baur sein!«
Strobl zeigte auf einen alten lindgrünen Mercedes-Kombi, der vor einer Wellblechgarage im Hinterhof parkte. Vinzent Baur war bei Doktor Steiner in Behandlung gewesen, hatte sogar an dessen Testreihe teilgenommen. Er wohnte mitten in Kempten, unweit des Königsplatzes. Der Jahrmarkt war als dröhnende Geräuschkulisse präsent, und hinter dem riegelförmigen Betonbau aus den siebziger Jahren zuckten immer wieder bunte Lichter hervor. Kluftinger ging in die Hocke und suchte
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