Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
nix mehr von mir wissen. Ich bin wieder zu meinem alten Kardiologen und hab mir so ein Gerät einpflanzen lassen. AICD heißt das. Das ist die Hölle auf Erden, aber es verhindert, dass ich irgendwann über den Jordan geh bei so einer Rhythmusstörung. Denn die wird durch einen Stromschlag beendet. Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn man Ihnen bei vollem Bewusstsein einen Schlag mit dem Defi gibt? Ein Scheißleben ist das. Das Ding rettet mir das Leben und hat es doch auch völlig zerstört.«
Die Beamten schwiegen betreten.
»Mit der Privatoperation, die ich dann aus eigener Tasche gezahlt hab, hat alles angefangen: Wir haben spät gebaut, ich hab die Kredite nicht mehr zahlen können, die haben mir doch das Gehalt zusammengestrichen. Ich will nicht ins Detail gehen, das Ergebnis ist schon traurig genug – Haus weg, Frau weg, Geld weg und eine miese Pension! Drum bin ich hier in die kleine Wohnung gezogen. Ich krieg nach fünf Treppenstufen schon Herzrasen, und wenn ich zum Einkaufen geh, muss ich alle zwei Minuten Pause machen, weil ich’s nicht mehr verschnaufe. Wie ein Neunzigjähriger! Meine Frau lebt jetzt in Spanien mit einem Doktor zusammen. Wenigstens mein Sohn, der Martin, kümmert sich noch ab und zu um mich.«
Kluftinger blies hörbar die Luft aus. Würde auch er einmal so enden? Unwahrscheinlich, beruhigte er sich, immerhin hatte er eine intakte Ehe. Glaubte er zumindest. Und er war vernünftig versichert, das Haus war bezahlt.
Er versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren: Hatte diese Reihe von Schicksalsschlägen ausgereicht, Baur irgendwann austicken zu lassen? Alle zu töten, die für sein Leid verantwortlich waren? Doch was war dann mit dem Taximord? Und vor allem: Wenn er wirklich in einer so desolaten gesundheitlichen Verfassung war, wie könnte er dann solche brutalen Taten begehen? Oder hatte er sie nur geplant und andere ausführen lassen?
Kluftinger musterte Baur: ein gebrochener, nein, nicht nur das, ein gebrechlicher Mann. Ein Mann, zu dem diese Morde ganz und gar nicht passen wollten. Ein braver, kleiner Finanzbeamter … Aber was hieß das schon? War er nur ein guter Schauspieler, der vorgab, von Krankheit und Ärger so sehr gezeichnet zu sein? War er fitter, als es schien? Der Kommissar beschloss, beim Staatsanwalt Einsicht in die Krankenakten zu beantragen, um seine Aussagen zu überprüfen.
»Wissen Sie«, sagte Baur, »manchmal denk ich, es wär besser gewesen, mich hätt’s auch irgendwann erwischt bei so einer beschissenen Rhythmusstörung. Wie die Frau Burlitz, die hat’s hinter sich.«
»Wer ist denn das?«, fragte der Kommissar.
»Die Frau Burlitz? Die gleiche Diagnose und die gleiche Drecksversicherung. Auch vom Hübner übrigens.«
»Sie meinen, es gibt noch mehr Menschen mit … Ihrem Schicksal?«
»Davon können Sie ausgehen. Aber das finden Sie ja bestimmt raus, oder? Ich kann das nur für die Frau Burlitz sagen. Wir haben uns immer wieder getroffen, in der Sprechstunde vom Steiner. Nette ältere Frau. Der ist es genauso gegangen wie mir. Nur dass es bei der am nötigen Geld für einen Defi gefehlt hat. Bei uns, in unserer ach so hoch entwickelten Bundesrepublik, gibt’s das. Eine Schande! Bis die sich erst mal das Geld für die OP beim Sozialamt zurückgeholt hätt … Also ist sie auch zum Steiner gekommen. Und bumm, irgendwann war sie weg, die Frau Burlitz. Einfach so. Die Kinder haben mich angerufen und es mir gesagt. Das war schon schlimm für die, soviel ich weiß, hat sich ihr Mann gar nicht allzu lang davor das Leben genommen. Ich sag’s ja, wenn einen das Unglück mal am Wickel hat, lässt es einen nimmer aus.«
»Sag mal, Eugen, habt ihr diese Frau auch schon in den Unterlagen vom Hübner gefunden?«
»Burlitz? Hm, nein, nicht dass ich wüsste.«
»Herr Baur, wie lange ist das denn her mit ihrem Tod?«
»Ein paar Monate, ein Jahr vielleicht.«
»Wahrscheinlich werden die Akten dann abgeschlossen und gehen zu den Versicherungsunternehmen ins Archiv«, mutmaßte Strobl.
»Wenn Sie was über die Frau Burlitz wissen wollen: Die Tochter von ihr arbeitet in einer Putzkolonne oben im Stadtkrankenhaus. Also im Klinikum, wie es jetzt heißt. Ich seh sie manchmal morgens, wenn ich zur Wassergymnastik muss.«
Kluftinger nickte. Vielleicht würde er einmal mit ihr reden.
In diesem Moment surrte die Türglocke.
»Das wird mein Martin sein«, erklärte Baur, erhob sich jedoch nicht vom Sofa. Stattdessen hörte man den
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