Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
auch. Ich hab das Gefühl, ich hab die Teile des Puzzles schon zusammen, ich muss sie nur noch an den richtigen Platz legen.« Fragend sah er seinen Sohn an.
»Nein, kenn ich nicht«, antwortete der gähnend. »Aber von allen Rätselspielen hab ich Puzzles immer am wenigsten gemocht, das weißt du ja.«
Zehnter Tag
A ls Kluftinger am nächsten Morgen auf einem der langgezogenen Balkone der Kemptener Klinik oberhalb der Stadt stand, konnte er den Ausblick keine Sekunde lang genießen. Und das nicht nur, weil er sein schwungvolles Aufstehen an diesem Tag mit einem Schmerz in der Brust bezahlt hatte, der ihm beinahe die Tränen in die Augen getrieben hatte. Nun befand er sich auch noch in der Raucherecke des Krankenhauses, die mehr geduldet wurde, als dass sie wirklich offiziell als solche deklariert war. Hier pafften nicht nur die Angestellten, sondern auch die Patienten. Es war ein absurdes Bild: Die Leute standen in ihren Jogginganzügen und Bademänteln herum, einige schoben einen Infusionsständer vor sich her, wieder andere saßen im Rollstuhl. Sie hatten sich alle um zwei Aschenbecher gruppiert und schauten zwischen ihren Zügen mit leeren Augen ins Ungefähre.
Den Mann neben ihm plagte ein so rasselnder Husten, dass Kluftinger zurückwich. Er schüttelte den Kopf. Es schien, als müsse sich der Mann mit dem grauen Gesicht unter Schmerzen zu jedem Zug an seiner Zigarette zwingen. Wie konnte man nur so leichtfertig mit seiner Gesundheit umgehen? Sie war doch das Wichtigste, was man hatte … Er dagegen hatte heute Morgen wieder mit Magermilchjoghurt, Müsli und koffeinfreiem Kaffee gefrühstückt.
Mit einem Gefühl moralischer Überlegenheit sah er sich um. Etwas abseits standen einige Pfleger und Schwestern, dahinter drei jüngere Frauen, die offensichtlich der Putzkolonne angehörten. Er durchschritt die Reihe der Raucher, wobei er tunlichst darauf achtete, die Luft anzuhalten. Dann fragte er die kleine Gruppe nach Jessica Burlitz.
Die Frau, die sich daraufhin zu erkennen gab, war jung, doch ihre ganze, ein wenig ungepflegte Erscheinung zeigte, dass sie nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens stand: Die dunklen Haare fielen strähnig in ihr Gesicht, der Putzkittel war fleckig, die Gesichtshaut gelblich fahl, die Zähne verfärbt.
»Was wollen Sie denn von mir?«, fragte sie, und der Kommissar wunderte sich über ihre klangvolle, geschmeidige Stimme, die so gar nicht zum restlichen Bild passen wollte.
Er nahm sie ein wenig beiseite, schließlich mussten ihre Kolleginnen ja nicht unbedingt wissen, dass sich die Polizei für sie interessierte – auch wenn es nur um ein paar Informationen ging. Er schien ganz in ihrem Sinne gehandelt zu haben, denn als er sich vorstellte, schaute sie sich prüfend um, als wolle sie sichergehen, dass niemand mitbekommen habe, wer da mit ihr reden wollte. Sie saugte jetzt gierig an ihrer Zigarette, drückte den Stummel aus und steckte sich sofort eine neue an.
»Polizei? Ich … also, was gibt es denn? Mit den Ratenzahlungen sind wir diesen Monat nicht im Verzug. Bitte, die haben doch eh schon alles Mögliche gepfändet, ich mein …«
Nun verstand Kluftinger, warum sein Besuch bei ihr diese Reaktion hervorgerufen hatte. Sie tat ihm leid. »Keine Sorge, Frau Burlitz, ich hab nur ein paar Fragen wegen Ihrer Mutter, es geht nicht um irgendwelche Zahlungen.«
Für einen kurzen Moment war ihr die Erleichterung anzusehen, dann füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Wir haben keine guten Erfahrungen mit den Behörden, seit Mama tot ist. Eigentlich auch schon vorher nicht.«
»Ihr Tod hat Sie sehr mitgenommen?«
Wieder ein heftiger Lungenzug, ein Nicken.
»Sagen Sie, als Ihre Mutter in Oberstaufen in Behandlung war, hat sie da hin und wieder vielleicht von einem Herrn Baur erzählt?«
»Der Herr Baur, ja, den kenn ich schon. Mit dem hat sie sich oft noch unterhalten, wenn ich sie abgeholt hab. Das ist ein netter Mann. Ab und zu treff ich ihn hier im Krankenhaus. Ist ihm denn was passiert?«
»Nein, ich wollte nur kurz mit Ihnen über ihn sprechen.«
»Über den Baur? Was wollen Sie denn wissen?«
»Na ja, er war ja in der gleichen Lage wie Ihre Mutter, nur dass bei ihm die Therapie keinen Erfolg hatte, er hat sie ja abgebrochen und …«
Frau Burlitz unterbrach ihn, indem sie zischte: »Keinen Erfolg? Meine Mutter ist gestorben! Weil man ihr keinen Defi … aber lassen wir das …«
Alles Verletzliche war aus ihrem Gesicht verschwunden.
»Woran ist Ihre
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