Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
widerfahren war, Kluftinger würde ihm nur helfen können, wenn ihm die Flucht gelang. Er nahm all seine Kraft zusammen und spurtete los. Im Augenwinkel sah er noch, wie die Hintertür der Schießbude aufflog und Roger Burlitz erschien, dann hatte ihn die Dunkelheit des engen Ganges zwischen Bude und Imbisswagen verschluckt.
Begleitet vom unermüdlichen Muhen der Kuh, zwängte er sich hindurch, was mit seinen gefesselten Händen gar nicht so einfach war. Als er den Vorplatz erreicht hatte, auf dem sonst die Jahrmarktsgäste lachend flanierten, rannte er buchstäblich um sein Leben. Instinktiv hatte er sich für die linke Seite entschieden. Er war noch keine fünf Schritte gelaufen, da hörte das Muhen auf. Eine gespenstische Stille setzte ein, in der ihm sein dampfender Atem ohrenbetäubend laut vorkam. Er schnaufte schwer, schließlich konnte er nur durch die Nase atmen. Der Schweiß brannte in seinen Augen, verschleierte ihm die Sicht, während er ziellos weiterstürmte.
Wo sollte er hin? Sich mit den Händen auf dem Rücken gegen einen Wohnwagen werfen und hoffen, dass jemand aufmachen würde, bevor sein Verfolger ihn eingeholt hatte? Gehetzt blickte er sich um – und geriet ins Stolpern: Burlitz kam um die Ecke der Schießbude geschossen, er war höchstens zwanzig Meter hinter ihm.
Verzweifelt versuchte Kluftinger, noch einmal zu beschleunigen, doch er wusste, dass ihn der junge Mann in wenigen Augenblicken einholen würde. Also änderte er die Richtung und hastete nun in einen der dunklen Gänge in der Hoffnung, dort irgendein Versteck zu finden. Obwohl es stockfinster war, verlangsamte er seinen Schritt nicht, bis er krachend gegen eine Wand stieß. Tränen schossen dem Kommissar in die Augen, doch Grund dafür war nicht Schmerz, sondern bloße Verzweiflung. Sollte er sich selbst in eine Sackgasse manövriert haben? Ohne Ausweg? Er drehte den Kopf in alle Richtungen, konnte aber nirgendwo etwas entdecken, was ihm hätte Schutz bieten können. Da sah er den Lichtstreif. Es war nur eine dünne, golden glänzende Linie, doch ihm war sofort klar, dass hier eine Tür war und dahinter ein Raum sein musste, in dem eine schwache Lampe brannte.
Vielleicht war ja noch jemand auf?
Vom Vorplatz hallten Burlitz’ Schritte. Deswegen entschied er sich für die einzige Richtung, die ihm blieb: die Tür. Als er sich dagegenwarf, gab sie merklich nach, doch sie öffnete sich nicht. Er versuchte zu schreien, aber durch seinen Knebel drang nur ein dumpfes Gurgeln. Verzweifelt nahm er Anlauf und schmiss sich noch einmal mit der Schulter gegen die Tür, woraufhin sie tatsächlich aufflog und er mit Schwung ins Innere stolperte. Atemlos hetzte der Kommissar einen engen Korridor entlang, bog zweimal ab, rannte an einem Podest vorbei, wollte weiter, blieb dann aber abrupt stehen und machte kehrt. Er ging in die Hocke und nickte, bevor er unter das Podest kroch, was sich mit den nach wie vor gefesselten Händen schwierig gestaltete. Nur ein Versteck konnte ihn retten. Er war noch keine drei Meter in die Dunkelheit gekrochen, da hörte er die Schritte und das Keuchen des jungen Mannes. Jetzt kam es darauf an: noch fünf Meter, noch drei – Kluftinger hielt den Atem an. Burlitz passierte das Podest. Kluftinger meinte zu hören, dass er seine Schritte verlangsamte – doch schließlich war er vorbei. Der Kommissar wartete noch ein paar Sekunden, dann sog er gierig Luft durch die Nase in seine Lungen, wobei er allerdings das Gefühl hatte, nicht ausreichend Sauerstoff zu bekommen. Ihm wurde flau. Panik flackerte in ihm auf, und er musste sich zur Ruhe zwingen, bis sich seine Atmung normalisierte.
Er legte seinen schweißnassen Kopf gegen einen der Metallpfeiler in seinem Versteck. Wo war er hier nur? Er hatte in der Aufregung nicht darauf geachtet, in welches Fahrgeschäft er eingebrochen war. Jetzt verfluchte er sich für seine Unaufmerksamkeit. Immerhin, die Kälte, die von dem Metall ausging, tat ihm gut, beruhigte ihn etwas. Bis ihn ein so heftiger Schmerz in der Brust durchzuckte, dass ihm mit einem Mal speiübel wurde … Jetzt war es also so weit: Hier, im Innern irgendeiner Jahrmarktsbude, würde er also seinem lange gefürchteten Herzinfarkt erliegen. Er hoffte nur, dass er seinen letzten Atemzug wenigstens an einem würdevolleren Ort als etwa Ferdl’s Witzstadl tun würde. Dann schloss er in trotziger Erwartung die Augen. So verharrte er ein paar Sekunden lang, doch nichts passierte, er kippte nicht um, blieb bei
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