Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
»Allerdings ist deine Fantasie mindestens so gewaltig wie dein Gehör. Weil, von einem Tötungsdelikt hab ich jedenfalls nix gehört.«
Kluftingers Lächeln verschwand. »Jetzt sag einfach mal, was du herausgefunden hast.«
»Gut, nimm Platz.« Der Akustikexperte deutete auf einen der durchgesessenen Bürostühle. »Also, ich hab noch mehrere Geräusche isolieren können. Das Flugzeug und die Kuhglocken hatten wir ja schon, aber jetzt kommt das …«
Er klickte mit seiner Maus herum, und auf dem Bildschirm erschienen wieder die Kurven. Gleichzeitig hörte Kluftinger ein dumpfes Schlagen. Wobei: Es war mehr ein Tuckern, wie von einem …
»Traktor!«, sagte er.
Zint nickte zufrieden. »Genau. Ein ziemlich alter noch dazu. Zwei- oder Dreizylinder, luftgekühlt. Wie sie die sparsamen Bauern hier noch oft im Einsatz haben. Würde zumindest deine erste Vermutung untermauern, dass es irgendwo bei uns in der Gegend war.«
Sie schwiegen eine Weile, dann spielte Zint eine weitere Datei ab. »Bei dem hier bin ich mir gar nicht sicher. Klingt seltsam, irgendwie … ach, weiß auch nicht. Sperr mal die Lauscher auf.«
Kluftinger hörte sich das Geräusch an, das irgendwie klang wie ein … blecherner Schluckauf. »Hm, vielleicht eine ganz alte Hupe?«
»Weiß nicht. Mir fällt nix Vernünftiges dazu ein.«
»Müsst man sich noch ein paarmal anhören. Ich spiel’s vielleicht morgen mal den Kollegen vor. Und sonst? War das schon alles?«
»Fast. Das Beste hab ich mir für den Schluss aufgehoben.« Werner Zint verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen. »Wird dir gefallen.«
»Jetzt schwätz nicht rum, lass es laufen!« Kluftinger fuchtelte ungeduldig mit den Armen.
»Schon gut.« Sein Kollege klickte wieder, und aus den Boxen drang ein langgezogener Laut, der wie ein leises Stöhnen klang. Kluftinger schluckte. Die Kritik seiner Kollegen hatte ihn selbst schon an seiner Hypothese zweifeln lassen, doch nun schien sich seine Vermutung zu bestätigen. Mit großen Augen sah er zu Zint.
»Hast du’s verstanden?«, fragte der.
»Wie, verstanden?«
»Das Wort!«
»Das Wort?«
Zint seufzte und tippte etwas in seinen Computer: »Okay, jetzt hab ich die Höhen noch etwas verstärkt und es noch mal verlangsamt. Pass auf.«
Kluftinger neigte den Kopf in Richtung der Boxen und schloss die Augen. Dann startete sein Kollege die Aufnahme erneut. Bei der reduzierten Geschwindigkeit klang der Laut noch klagender, doch diesmal hörte Kluftinger das Wort heraus. Als er die Bedeutung der zwei Silben realisierte, machte sich eine Gänsehaut in seinem Nacken breit: »Teufel«, presste die Stimme hervor.
Bin mit Annegret in der Sauna, Essen steht im Kühlschrank, Bussi E.
Kluftinger saß nach einem in jeder Hinsicht unproduktiven Tag deprimiert am Küchentisch und las immer wieder den Zettel, den seine Frau ihm hinterlassen hatte. Eine Woge des Selbstmitleids hatte ihn übermannt. Ja, Erika würde auch ohne ihn zurechtkommen, das stand fest. Jedenfalls weitaus besser als er ohne sie. Er blickte in den Kühlschrank, und zum zweiten Mal an diesem Tag lächelte er: Sie hatte ihm eine kleine Auswahl an geschnittenem Gemüse und verschiedenen Dips hergerichtet. Es sah gar nicht mal schlecht aus, auch wenn er von vornherein wusste, dass er davon nicht wirklich satt werden würde. Es war schon komisch: Von solchen Speisen konnte er essen, so viel er wollte, sie gelangten einfach nicht dahin, wo sein Hunger saß. Entsprechend lustlos mampfte er sein Abendmahl in sich hinein, was ihm wiederum ein schlechtes Gewissen verursachte, weil sich Erika damit doch solche Mühe gegeben hatte.
Doch seine Appetitlosigkeit rührte nicht nur daher. Er hatte vor sich das Telefonbuch und eine Allgäu-Karte ausgebreitet. Es war das Einzige, was er im Moment für sich und seine gesundheitliche Situation tun konnte, denn sie hatten ja keinen privaten Internetzugang mehr, seit Markus zum Studium weggezogen war und seinen Computer mitgenommen hatte. Sein Sohn hatte ihn immer gewarnt, dass er es eines Tages noch bedauern werde, so von der Welt abgeschnitten zu sein, aber Kluftinger hatte lediglich die Achseln gezuckt und geantwortet, früher sei es auch ohne gegangen.
Aber früher hatte er eben auch nicht nach den Kontaktadressen der Herzkliniken und Kardiologen in seinem Umkreis suchen müssen. Früher … Das Wort schmeckte bitter, es suggerierte ihm, der größte Teil seines Lebens sei bereits vorbei. Nüchtern betrachtet war er das ja
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