Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
umfangreiches Fotoalbum auf. Doch er blätterte nicht etwa suchend herum, sondern zeigte auf die erste Seite. »Aber ein paar Sachen muss ich Ihnen einfach zeigen. Schauen Sie, das ist von unserer ersten Rast bei der Hinfahrt. Ein original Züricher Rahmgeschnetzeltes mit Rösti, das haben wir in einer der besten Autobahnraststätten in der Schwyz gegessen.« Kluftinger biss die Zähne zusammen. Wischnewski sagte tatsächlich
Schwyz
statt Schweiz. »Eigentlich haben wir alle dasselbe gegessen, bis auf die Frau Wiesner. Die Hildegard, also die Frau Wiesner, musste sich mit einem Pilzrahmgeschnetzelten zufriedengeben. Sie ist Vegetarierin, müssen Sie wissen.«
Der Kommissar nickte gequält.
»Ja, drum ist sie auch so verhutzelt, die alte Schachtel«, meldete sich Frau Wischnewski mit einem heftigen Einwurf zu Wort. »Die schaut am Hals ja aus wie eine Schildkröte! Total faltig.« Dabei bedachte sie ihren Mann mit einem bösen Blick. Dann wandte sie sich an die Polizisten: »Wissen Sie, die alten Dackel, wie meiner einer ist, die steigen ihr noch immer nach, der Hildegard. Weil sie nie verheiratet war, sondern immer nur wechselnde Männerbekanntschaften hatte. Und sich immer recht aufreizend anzieht! Pah, so eine alte Frau und läuft rum wie ein junges Mädchen, oder sagen wir lieber wie … eine Professionelle.«
»Hildegard ist drei Jahre jünger als du, Gerda. Und was mich angeht: Ich hab nicht vor, dich jetzt noch zu verlassen.«
Rentiert sich eh nicht mehr,
dachte der Kommissar.
»Hätte ja auch gar keine Frau Interesse an dir«, brummte Gerda Wischnewski, dann lehnte sie sich beleidigt zurück und nippte spitzlippig an ihrem Kaffee.
»Das ist Frau Huber, die ehemalige Pfarrhaushälterin von Maria Rain, wissen Sie?«, fuhr ihr Mann fort und zeigte auf ein Foto einer dicken älteren Frau. »Die hat ja jetzt so Wasser in den Beinen, darauf müssen wir bei den Fußmärschen natürlich schon ein wenig Rücksicht nehmen.«
Kluftinger suchte den Blick seines Kollegen, doch der war damit beschäftigt, sich ein Stück Kuchen nach dem anderen in den Mund zu schieben.
»Und das, ha, das war auch lustig.« Wischnewski deutete auf ein Foto, das ein Käsefondue zeigte. »Da haben wir zusammen so einen original ›Schwizer Obig‹, also Abend, verbracht. Und der Herr Wolters, der hat dann … nein, Moment, war das überhaupt der Wolters?« Er hielt sich das Foto ganz nah ans Gesicht. »Also, ich weiß nicht, vielleicht … Gerda, meinst du, das könnte auch der Karlheinz ge…«
»Himmelarsch, Herr Wischnewski, diese Geschichten interessieren doch einen Toten! Jetzt zeigen Sie endlich die geschissenen Fotos aus Lindau, kruzifix!«
Strobl verschluckte sich und hustete trocken, Wischnewski blieb vor Schreck der Mund offen stehen, die Lippen seiner Frau bebten. Einige Sekunden lang sagte keiner ein Wort. Kluftinger lief ob der Vehemenz seiner Worte rot an. Da war wohl der Gaul ein wenig mit ihm durchgegangen.
Gerda Wischnewski löste sich als Erste aus ihrer Schockstarre. Sie maß die beiden Beamten mit einem eiskalten Blick, griff sich die Kuchenplatte samt Strobls angefangenem Stück und trug alles wortlos in die Küche. Bis sie zurückkam, saß ihr Mann stumm da. Dann setzte sie sich wieder, machte aber ebenfalls keine Anstalten, etwas zu sagen.
Kluftinger tat sein kleiner Ausrutscher inzwischen aufrichtig leid, schließlich passte diese flegelhafte Art so gar nicht in sein neues Verhaltensschema. Aber das würde er schon wieder hinkriegen. »Sagen Sie, steht denn nicht in der Birnau, dieser Wallfahrtskirche am Bodensee, auch eine ganz herausragende Orgel?« Er wusste, welche Register man bei solchen Leuten ziehen musste.
»Mag sein«, versetzte Wischnewski leise und verschränkte die Hände vor der Brust. »Die Birnau ist für Orgelexperten uninteressant.«
Kluftinger biss die Zähne zusammen. Da bräuchte es wohl noch mehr geheucheltes Interesse. »Und wenn Sie so unterwegs sind, haben Sie denn da einen Organisten dabei, ich meine, damit Sie die Orgeln auch …«
»Teils, teils«, erklärte sein Gegenüber, noch bevor er geendet hatte.
»Also, Frau Wischnewski, der Kuchen ist … war wirklich ganz, ganz fein«, versuchte nun auch Strobl sein Glück, was jedoch nur ein Kopfnicken und einen Grunzlaut der Frau zur Folge hatte.
Kluftinger sah seinen Kollegen an, der nun ebenfalls vorwurfsvoll die Brauen hochzog. Er beschloss, seine Taktik zu ändern und von nun an einen geschäftsmäßig forschen Polizeiton
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