Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
laut auf. »Nichts für schwache Nerven, so eine Geisterbahn, was? Ihre scheinen ja gerade bloß zu liegen, so wie Sie vorhin ausgetickt sind. Da hätte man direkt Angst vor Ihnen bekommen können – also, wenn man weniger stabil gebaut wäre wie ich natürlich.«
Der Kommissar senkte schuldbewusst den Kopf.
»Wenn Sie jetzt wieder den Flattermann kriegen sollten, halten Sie sich einfach an Ihrem Schlumpf fest. Notfalls auch an mir, wenn Sie meine harte Männerschulter bevorzugen.«
Kluftinger krallte sich tatsächlich in die Stofffigur, allerdings, um so seine aufwallende Aggression in Zaum halten zu können.
Die weitere Fahrt verlief zunächst wortlos, wenn man von Langhammers zur Schau gestellten Langeweile absah, die darin gipfelte, dass er bei jeder der unheimlich beleuchteten Gruselszenen laut gähnte oder ein teilnahmsloses »na ja« vernehmen ließ. Der Kommissar dagegen versuchte so gut wie möglich, sich gedanklich abzuschotten gegen all die Kreuze, Leichen und die herausgerissenen Eingeweide, die ihm auf der Fahrt begegneten.
Erst als der Doktor bemerkte, dass Kluftinger immer wieder erschrocken zusammenzuckte, änderte er sein Verhalten und begann zu lachen. Entnervt sah der Kommissar zu ihm hinüber und erschauderte. Das verzerrte Gesicht des Doktors, von Rotlicht geisterhaft erhellt, wirkte beängstigender als alles andere.
Als sie um eine Kurve bogen, lauerte eine riesige Spinne in einem Netz auf sie. Sie streckte ihre dürren Beine nach ihnen aus, woraufhin Kluftinger nach hinten auswich. Da packte ihn eine knochige Hand mit festem, kaltem Griff im Nacken. Kluftinger schrie gellend auf, griff reflexartig hinter sich und drückte so fest zu, wie er nur konnte. Panisch schlug er um sich, wobei er den Doktor so heftig im Gesicht traf, dass der seine Hand aus Kluftingers Nacken zurückzog. In diesem Moment blendete ein greller Blitz den Kommissar, und er verlor kurz die Orientierung. Er blinzelte ein paarmal, dann sah er zum Doktor, der seine Brille zurechtrückte und dann mit schmerzverzerrtem Gesicht die Finger seiner linken Hand knetete. Mit eingefrorenem Grinsen presste er hervor: »Ich hoffe, Sie haben ein freundliches Gesicht gemacht, denn der Blitz eben gehörte zu einer Kamera.«
Dann wurde es schon wieder hell, doch diesmal war es das Tageslicht, denn sie hatten die Geisterbahn endlich hinter sich gebracht. Der Kommissar wartete gar nicht, bis sie vollständig zum Stehen gekommen waren, sondern hechtete mit seinem Schlumpf aus dem Wagen, rief dem Doktor noch ein »Wenn’s mit der Medizin nicht mehr klappt, kommen Sie hier jederzeit als Hauptattraktion unter!« zu und lief zu den anderen, die bereits inmitten einer grinsenden Menschentraube vor dem Bildschirm standen. Darauf wurden die gerade geschossenen Fotos aus der Geisterbahn gezeigt.
Ohne den Bildern weiter Aufmerksamkeit zu schenken, drängte Kluftinger seine Familie unsanft zum Gehen. Erst als sie das Gelände schon fast verlassen hatten, drehte er sich noch einmal um. Das Letzte, was er vom Jahrmarkt sah, war ein gut gelaunter Doktor, der mit gezücktem Geldbeutel vor der Geisterbahn-Kasse stand. Er kaufte etwas, das auf die Weite wie ein Foto aussah.
Achter Tag
D er Kommissar war spät dran, als er am nächsten Morgen in Kempten ankam. Er hatte sich mit dem Start in die neue Woche schwergetan. Was hätte er dafür gegeben, wenn es ein ganz normaler Montagmorgen gewesen wäre, einer ganz ohne Serienmorde, ohne Sonderkommission, ohne den Druck, möglichst schnell einen Mörder zu finden, der hier im Allgäu sein Unwesen trieb und von dem man nicht wusste, ob und wo er das nächste Mal zuschlagen würde. Und ein Montag ohne Schmerzen. Ohne dieses Stechen im … Er wollte gar nicht weiterdenken.
Eine Woche wie die letzte hatte er bislang nicht erlebt – nicht nur beruflich, sondern auch, was ihn selbst anging.
Er hatte das Gefühl, bei den Ermittlungen auf der Stelle zu treten. Es war ungewöhnlich, dass sie nach so langer Zeit noch nicht einmal Anhaltspunkte hatten, die für eine bestimmte Motivlage und damit eine Tätergruppe sprachen. Stattdessen: ein paar Ölflecken, ein ominöses Fahrzeug, das nicht zu identifizieren war, eine Handvoll DNA -Spuren, die zu keinem Eintrag im Zentralregister passten. Dafür hatten sie die Öffentlichkeit im Nacken, wie die beinahe stündlichen Nachfragen der Pressestelle verrieten, und einen Polizeipräsidenten, der keine Gelegenheit ausließ, darauf hinzuweisen, wie »hoaklig die ganze
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