Herzen aus Asche
lassen. Sir fuhr herum und blickte in das fragende Gesicht ihrer Mutter, die den Kopf durch einen Spalt in der Küchentür steckte. Einige Strähnen hatten sich aus dem Haarknoten am Hinterkopf gelöst und hingen ihr bis über die Schultern. Sie wirkte zerknittert, als hätte sie geschlafen.
Amelie stellte den Teller auf die Spüle. »Ich habe ein Stück Kuchen in den Müll geworfen.« Noch wä hrend sie den Satz sagte, fiel ihr auf, wie herzlos er klang. Ihre Mutter hatte sich mit dem Backen der Mokkatorte viel Mühe gegeben. »Es ist vom Tisch gefallen«, fügte sie zähneknirschend an. Amelie hatte erwartet, wenigstens eine kleine Rüge à la »Kannst du nicht besser aufpassen?« als Antwort zu erhalten, doch ihre Mutter nickte nur. Vielleicht war sie noch nicht richtig wach. Amelie beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
»Habt ihr denn Spaß?« Sie glaubte, einen Anflug von Wehmut in ihrer Stimme wahrzunehmen. Seit einigen Tagen verhielt sie sich seltsam, sie meckerte wenig und seufzte viel. Amelie wusste, dass sie nur schwer akzeptieren konnte, dass ihre Tochter in wenigen Wochen auszog, um sich ins Studentenleben zu stürzen.
»Ja, es ist ganz witzig, aber Thore nervt. Außerdem ist es ziemlich eng in meinem Zimmer.«
Inger Ivarsson lächelte. »Genieße deine Jugend, man wird immerhin nur einmal zwanzig. Ich bin froh, wenn noch etwas Leben im Haus ist. Bald wird es hier sehr ruhig sein.« Sie senkte den Blick.
»Mama, das Thema hatten wir doch nun schon zur Genüge. Ich kann nicht ewig hier wohnen bleiben.«
»Ich möchte doch bloß nicht, dass du in der weiten Welt dort draußen untergehst oder an die falschen Männer gerätst.«
»Mama! Erstens bin ich nicht aus der Welt, weil me ine Wohnung nur zwanzig Autominuten entfernt sein wird, und zweitens solltest du nicht immer denken, alle Männer seien wie mein Vater.« Amelie wusste, dass ihre Worte harscher klangen als beabsichtigt, und sogleich bereute sie ihre Ungeduld. Ihre Mutter hatte kein einfaches Leben gehabt, wurde von Amelies Vater schon verlassen, als diese ein Säugling gewesen war. Amelie nahm sich vor, in Zukunft verständnisvoller zu sein.
»Ich werde jetzt wieder zurück zu meinen Gästen g ehen. Es ist unhöflich, so lange weg zu bleiben.« Sie schob sich durch die Küchentür in den Flur. Bevor sie in ihr Zimmer schlüpfen konnte, rief ihre Mutter ihr hinterher: »Sofia und Marie haben sich angekündigt, sie müssten jeden Moment hier sein. Ich wollte es dir nur sagen.«
Amelie fuhr herum. »Noch mehr Leute in meinem Zimmer? Hast du sie eingeladen?«
Inger zuckte die Achseln. »Nein, sie sagten, sie hä tten ein besonderes Geburtstagsgeschenk für dich.« Ein leiser Vorwurf schwang in ihrer Stimme mit.
»Ich mag Sofia, das sollte nicht so klingen, als sei es mir nicht recht.« Amelie hatte das Gefühl, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu treten.
Sofia war eine gute Freundin ihrer Mutter, die beiden kannten sich seit Jahrzehnten und trafen sich mindestens einmal in der Woche auf einen Tee. Sofias Tochter Marie war mit Amelie zur Schule gegangen, sie würden künftig eine Wohngemeinschaft in der Innenstadt bewohnen. Amelie mochte Marie, dennoch behagte ihr der Gedanke an einen weiteren Gast nicht. Amelie spürte allmählich, wie Müdigkeit nach ihr griff. Es war schon einundzwanzig Uhr durch, und der Tag war anstrengend gewesen. Seit dem frühen Morgen hatte sie ihrer Mutter im Geschäft geholfen. Sie freute sich schon jetzt auf ihren wohlverdienten Schlaf.
»Ist schon ok ay«, sagte sie und warf ihrer Mutter ein entschuldigendes Lächeln zu. Dann drehte sie sich um und betrat ihr Zimmer.
Ihre Gäste vertieften sich gerade in ein angeregtes G espräch über die letzte Folge der Talentshow, die letzten Abend im Privatfernsehen ausgestrahlt worden war.
Amelie interessierte sich nicht für das reißerische Format, bei dem hoffnungsvolle junge Sänger gnadenlos vorgeführt wurden. Sara hatte es sich mittlerweile auf Mikaels Schoß bequem gemacht, einen Arm um seinen Hals geschlungen, die Lippen auf sein Ohr gepresst. Obwohl Amelie sich selbst nicht für verklemmt hielt, spürte sie dennoch, wie ihr warmes Blut in den Kopf stieg. Ihre letzte Beziehung lag schon zwei Jahre zurück, und als Beziehung konnte man es eigentlich nicht bezeichnen. Der junge Mann hatte sie ein paar Mal ins Kino begleitet, bis ihre Mutter ihr wieder einmal eingeredet hatte, dass ein Heißsporn aus der Musikszene kein guter Umgang für sie
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