Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
vergnügter Jahre in Kolar verbracht. Alle hier hielten Jack Bryant für einen Schürzenjäger und gnadenlosen Opportunisten. Ned dagegen kannte ihn auch als einen überaus nachdenklichen Menschen. Während sein Freund alles tat, um die Gemeinde von KFG in dem Glauben zu lassen, dass er ein zwar gut aussehender, aber absolut herzloser Halunke war, war er in Wahrheit ein sehr einsamer Mensch. Ned spürte das – hatte das immer gespürt – und war zutiefst davon überzeugt, dass Jack, wenn er sich schließlich doch in eine Frau verliebte, eine jener intensiven, leidenschaftlichen Beziehungen führen würde, die in ihrem Sog alles und jeden verschlangen.
Er versuchte, Jack aus seinen Gedanken zu verbannen, und dachte stattdessen an Iris. Es war ihr erster Brief gewesen, der erste von vielen, der seine hilflose Schwärmerei für sie ausgelöst hatte. Noch nie zuvor hatte ihm ein Mädchen einen Brief geschrieben. Wenn er ehrlich war, so musste er sich eingestehen, dass noch nie ein Mädchen wirklich Notiz von ihm genommen, geschweige denn Interesse an seinem Leben gezeigt hatte. Seit damals hatte er sich mit vielen Mädchen verabredet, durfte sich inzwischen wohl sogar als beliebten und gern gesehenen Gast bei Tanzveranstaltungen und Abendessen betrachten. Keine andere Frau faszinierte ihn jedoch so sehr wie Iris, und das, obwohl sie sich noch nie persönlich begegnet waren.
Iris’ Briefe waren stets voller Fragen. Es schien sie nicht im Mindesten zu stören, dass ihre Eltern ihn wie einen Sohn behandelten. Ihre Briefe enthielten wunderschöne Dinge wie die Skizze eines Eichhörnchens, das sie im Hyde Park gesehen hatte, einen Streifen Stoff von einem Kleid, das sie sich vor Kurzem genäht hatte, die Eintrittskarte für eine Vorstellung des Theatre Royal in Brighton. Und so weiter und so fort. Einblicke in ihr aufregendes Leben in London trafen in großer Zahl bei ihm ein. Ned hatte sich angewöhnt, ihre Briefe erst zu öffnen, wenn er allein war, so dass er die Zeit hatte, sie in vollen Zügen zu g enießen. Oft ertappte er sich dabei, dass er beim Lesen lächel te. Jeden ihrer Briefe hatte er nach einem ersten, gespannten Überfliegen mehrmals gelesen.
Sie hatte ihm immer in einem überaus herzlichen Ton geschrieben. Im Laufe der Jahre hatte sich ihre Beziehung jedoch weiter vertieft. Ned hatte ihr zwar niemals gestanden, was er für sie empfand, aber er spürte, dass sie sich auf ihre erste Begegnung genauso freute wie er. Jedes Mal, wenn er an ihre Ankunft dachte, spürte er einen dicken Kloß im Hals. Würde sie von ihm enttäuscht sein? Würde er ihr zu klein, zu zurückhaltend, zu schwärmerisch, zu langweilig sein? Seine Ängste waren mehr und mehr gewachsen, spätestens seit ihr letzter Brief eingetroffen war. Darin hatte er ein Foto vorgefunden, eine Nahaufnahme von Iris. Sie hatte geschrieben, dass sie dieses Foto für ihre Eltern hatte machen lassen, aber aus einer plötzlichen Laune heraus auch einen Abzug für ihn bestellt hatte. Damit du weißt, nach wem du Ausschau halten sollst, wenn du mich abholst. Sie vertraute also darauf, dass er sie erwarten würde. Auf der Rückseite des Fotos hatte sie in eleganter Handschrift geschrieben: Für Ned. I x.
Als er das Bild und die rätselhafte Notiz gesehen hatte, hatte sein Herz zu rasen begonnen. Vielleicht interpretierte er zu viel in die Sache hinein; vielleicht verhielt sich Iris jedem gegenüber so freundlich. Er hatte eigentlich Jack das Foto zeigen wollen, aber aus irgendeinem Grund hatte er es sich anders überlegt. Offenbar wollte er Iris einfach für sich allein behalten.
Jack machte der lange Heimweg nichts aus. Er half ihm dabei, klar zu denken. Wenn er die Augen zukniff und die rote Erde und die dunkelhäutigen Menschen um ihn herum ignorierte, gab es durchaus Momente, in denen die Bauten der Minenanlage – die Winden, die Maschinenhäuser, die den Hauptschacht umgebenden Gebäude – wie ein Echo seines Lebens in Cornwall auf ihn wirkten. Er vermisste dieses Leben. Er vermisste die Kälte und die grüne See vor der kornischen Küste an einem Frühlingstag. Vermisste die grünen Wiesen, welche die zerklüfteten Klippen umgaben, denn selbst wenn es hier dank der ständigen Bewässerung erstaunlich grün war, so war die Landschaft jenseits der Gärten doch ausgetrocknet und staubtrocken. Auch wenn er sich über das Clubleben niemals beklagen würde, so gab es doch Momente, in denen er der Anonymität eines kornischen Pubs und dem Geruch frisch
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