Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
angesichts dieser ersten Begegnung konnte sie mit Fug und Recht sagen, dass Edward Sinclair ihren Erwartungen voll und ganz entsprach; er war ein zuverlässiger und freundlicher Mensch. Mehr noch, er schien verliebt zu sein. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. Verliebt in sie! Sie war daran gewöhnt, stets Aufmerksamkeit zu bekommen; sie war die Jüngste, die Hübscheste, diejenige, die es wahrscheinlich am weitesten bringen würde. So hatte es damals jedenfalls geheißen. Sie hatte Indien voller Selbstvertrauen verlassen, aber England hatte sie schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Dort war sie einfach nur das exotische Dienstmädchen mit diesem »kuriosen« Akzent gewesen.
Sie hatte so wenige Männer kennengelernt, dass ihre Hoffnung, sich im Ausland zu verlieben, rasch zunichtegemacht worden war. Und dann hatte da plötzlich dieser Brief auf der Fußmatte vor der Eingangstür des Hauses der englischen Familie gelegen. Und mit ebendiesem Brief war Ned in ihr Leben getreten. Die indischen Briefmarken und die ihr unbekannte ordentliche Handschrift hatten sofort ihr Interesse geweckt. In dem Brief hatte sie einige überaus charmante Zeilen gefunden, sorgfältig formuliert und dennoch sehr informativ – wie die Verbindung zwischen Ned und ihrer Familie zustande gekommen war, die traurigen Einzelheiten seiner eigenen Geschichte und sogar der Vorschlag, dass sie sich am Brunnen von Fortnum & Mason einen Eisbecher mit Früchten gönnen solle. Letzteres war eine Art Pilgerfahrt, die zu machen er sich zwar schon immer vorgenommen, aber nie in die Tat hatte umsetzen können. Seit sie Ned kennengelernt hatte, war ihr bewusst, dass er schon lange vor ihrer ersten Begegnung von ihr hingerissen gewesen war.
Sie lächelte schüchtern in sich hinein. Ohne jede Frage, er taugte zum Ehemann. Es war so einfach, ihn zu mögen … und vielleicht war es noch einfacher, ihn zu lieben. Hinzu kam, dass ihre Eltern mit dieser Verbindung mehr als nur einverstanden g ewesen wären. Sie würde sie damit glücklich machen. Sie ha tte sich oft gefragt, ob es für sie eine Enttäuschung werden könnte, nach KGF zu fahren, anstatt in ihr vertrautes Zuhause in Bang alore zurückzukehren … aber da wartete der entzückende Ned Sinclair auf sie! Was für eine glückliche Fügung des Schicksals.
Iris ermahnte sich, nicht zu interessiert zu erscheinen. Sie hatte in London beobachtet, wie die jungen Damen der feinen Gesellschaft ihre Bewunderer gegeneinander ausgespielt hatten. Es hatte stets damit geendet, dass sie ihren Willen bekamen.
»Wenn es dir gelingt, einen Mann eifersüchtig zu machen, weil sich ein anderer für dich interessiert, hast du ihn genau dort, wo du ihn haben willst«, hatte ein kluges junges Ding eines Abends in Iris’ Hörweite zu einem anderen Mädchen gesagt. »Das macht sie eifriger, als du es dir vorstellen kannst. Dann sind sie eher bereit, zu allem und jedem Ja und Amen zu sagen.« Die beiden Mädchen hatten bei dieser Vorstellung leise vor sich hin gegackert.
Sie hatte diese Worte nicht vergessen, aber Ned schien ein solider, guter Mann mit den besten Absichten zu sein. Sie konnte es gar nicht erwarten, ihn näher kennenzulernen.
26
»Sind Sie schon wach, Master Ned, Sir?«, fragte der chokra leise durch die Fliegengittertür.
Ned hatte sich nach der Schicht schlafen gelegt. Er wusste, dass der Leiter des Elektrizitätswerks die unendlich lang erscheinenden Nachtschichten am anstrengendsten fand, deshalb hatte er ihm angeboten, möglichst viele dieser Schichten zu übernehmen. Ihm machte es nichts aus, nachts zu arbeiten. So konnte er auch mehr Zeit mit Iris verbringen, denn sosehr ihm die Walkers auch vertrauten, sie würden ihm nicht allzu oft gestatten, ihren kostbaren Liebling abends allein auszuführen.
Ned liebte seine Arbeit. Die Minen mit Strom zu versorgen, war eine immens wichtige Aufgabe. Einen derart verantwortungsvollen Posten hätte man ihm zu Hause niemals gegeben, und jetzt bestand sogar die realistische Chance, dass man ihm die verantwortungsvollste Position im ganzen Werk übertragen würde. Es gab Augenblicke, in denen er sich in den Arm kneifen musste, um sich zu versichern, dass er nicht träumte. Jack hatte recht – sie mussten die Vergangenheit endlich vergessen, denn ihnen beiden winkte eine goldene Zukunft.
»Oh, hallo, Joseph. Gibt es ein Problem bei den Walkers?«
»Nein, Master Ned. Die Madam dachte nur, Sie würden vielleicht gern bei den kul-kuls für den
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