Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
überrascht, wie wenige Briten sich die Mühe machten, die Landessprache zu erlernen. Anders als Jack hatte er von dem Moment seiner Ankunft in KGF Wert darauf gelegt, sich darin zu üben. Ned ging zwischen den dicht gedrängt stehenden indischen Familien hindurch und nahm den Duft von Gewürzen und Sandelholz wahr. Die zahlreichen Armreifen der Frauen aus Glas oder Gold klingelten hell, wenn sie mit ihren rauen Händen die seinen umschlossen. Er fühlte sich beschämt durch ihre freundlichen und respektvollen Verbeugungen und ihre dankbar gemurmelten Worte, die voller Sorge, aber auch voller Hoffnung waren.
Plötzlich wünschte er sich nichts sehnlicher, als unten bei Jack zu sein. Jack tat wenigstens etwas. Ned warf einen Blick den Hügel hinauf und sah Kanakammal, die allein dort stand und im Mondlicht geradezu überirdisch wirkte.
Iris sah sie ebenfalls. »Da ist wieder diese Frau«, flüsterte sie. »Ob sie auch jemanden verloren hat?«
»Nein. Sie ist wegen Jack hier.«
»Wieso? Kennt sie ihn so gut?«
»Wohl kaum. Aber schau sie doch nur an. Sie ist um seine Sicherheit genauso besorgt, wie wir es sind. Ich werde noch einmal mit ihr sprechen.«
»Warte, ich komme mit«, sagte Iris.
Die hochgewachsene Frau beobachtete, wie sie den Hügel heraufkamen. »Kanakammal«, sagte Ned.
Sie verbeugte sich vor ihnen und blickte sie aus ihren großen grauen Augen unerschrocken an. Ihr Gesicht verriet nichts von ihren Gefühlen.
»Kanakammal, das ist Miss Iris Walker. Ihre Familie lebt in Oorgaum.«
»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Walker«, sagte Kanakammal höflich.
»Du arbeitest für Mr. Bryant, wie ich gehört habe?«, bemerkte Iris in einem unüberhörbar hochmütigen Ton.
Das Mädchen senkte den Blick. »Ja, Madam. Meine Schwester und ich wohnen in seinem Haus.«
»Ihr wohnt dort? Wie überaus modern!«
Ned sah Iris tadelnd an.
»Was denn?«, entgegnete sie ihm scharf. »Er ist Junggeselle, Ned.«
Kanakammal hob den Kopf und blickte hinter sie in die Ferne. »Da geschieht gerade etwas, Sir«, sagte sie an Ned gewandt, froh darüber, das Thema wechseln zu können.
Ned drehte sich um. Am Eingang des Schachts waren tatsächlich Aktivitäten zu bemerken. »Nun, ich hoffe, dass Mr. Bryant bald wieder nach Hause kommen wird.«
Sie sah ihn dankbar an. »Auf Wiedersehen, Sir, Madam«, sagte sie. Dann schwebte sie davon und verschmolz auf geisterhafte Weise mit der Menge von Zuschauern, die in der Hoffnung auf Neuigkeiten vorwärtsdrängte.
»Das war nicht besonders feinfühlig von dir«, sagte Ned missbilligend, als er Iris zu ihrer Familie zurückführte.
»Komm schon, Ned. Jetzt behaupte nicht, dir ist nicht aufgefallen, wie gut sie aussieht.«
»Nun, ja. Sie ist wirklich unglaublich schön. Und sie wirkt so selbstsicher.« Es war unübersehbar, dass sie sich über seine Worte ärgerte. »Aber ich verstehe einfach nicht, worauf du hinauswillst.«
»Ich will darauf hinaus, dass sie noch sehr jung ist. Und unverheiratet. Jack ist Junggeselle. Außerdem hast du mir selbst erzählt, was für ein Schürzenjäger er ist.«
»Nun, selbst wenn er ein Schürzenjäger ist – und das ist er in der Tat –, ist es allein seine Sache, mit wem er sich umgibt. Ich denke, du interpretierst da einfach viel zu viel hinein.«
»Ned! Es geht mir um das Wohl des Mädchens! Das ist alles.«
Er verkniff sich eine Bemerkung über Iris’ auffälliges Interesse an Jack Bryant und griff stattdessen nach ihrer Hand. »Iris, wir müssen uns jetzt auf Rupert konzentrieren und darauf, ihn heil zurückzubekommen. Das Einzige, worum ich mir jetzt Gedanken mache, ist, ob er und Jack unverletzt aus der Mine herauskommen.«
Sie nickte und lächelte. Ned war jedoch keineswegs beruhigt. Das Flüstern in seinem Kopf wurde lauter und lauter. Es zu ignorieren, war ihm einfach nicht mehr möglich.
Jack hatte das Gefühl zu verbrennen. Die heiße Luft versengte ihm mit jedem Atemzug die Lungen. »Konzentrier dich, Jack«, knurrte er vor sich hin.
Nachdem er sich geschätzte zehn Minuten lang zentimeterw eise vorgearbeitet hatte, kehrten seine Zweifel zurück. Er stieß blindlings immer tiefer in die Erde vor, in einen Tunnel, den er nicht kannte, auf der Suche nach Menschen, von denen er nicht einmal sicher wusste, ob sie sich dort befanden oder überhaupt noch lebten.
Er blieb stehen, lehnte sich an die Wand und ging dann in die Hocke, wobei er den Kopf in die Hände stützte. Die Hitze verursachte ihm heftige Kopfschmerzen,
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