Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
wurde, und ein Waisenhaus schon gar nicht. Abrupt stand er auf. »Ich mache einen kleinen Spaziergang auf dem Gelände«, sagte er. Bella schien nichts dagegen zu haben. Im Gegenteil, er sah ihr an, wie sehr sie es genoss, im Mittelpunkt zu stehen. Im Moment würde sie ihn also nicht vermissen.
Später fand Robbie Ned im Schlafsaal der Jungen bei der Aufgabe, die Hausmutter Brent ihm zugewiesen hatte. Eine seiner täglichen Pflichten bestand darin, den Boden dort zu reinigen. Ned wusste, dass die Kinder erst in etwa einer Stunde zu Bett gehen würden, also hatte er sich an die Arbeit gemacht, denn es half ihm beim Nachdenken, wenn er sich mit irgendetwas beschäftigte. Er hatte den Boden bereits gefegt und war jetzt dabei, ihn feucht zu wischen.
»Hallo, Ned«, sagte Robbie. In den Händen hielt er ebenfalls einen Eimer mit Wasser und einen Wischmopp.
Ned warf ihm ein freundliches Lächeln zu. »Wo ist Bell?«
»Sie lernt gerade ein paar burmesische Tanzschritte.« Er wiegte seinen Kopf. »Sie sieht im longi wirklich hübsch aus.«
»Nun, sie liebt es, sich zu verkleiden«, sagte Ned. »Noch mal vielen Dank, dass du so nett zu ihr bist.«
»Gern geschehen«, sagte Robbie und begann zu wischen, wobei er Neds Rhythmus aufnahm und Seite an Seite mit ihm arbeitete. »Wenn sie älter wäre, würde ich mit ihr durchbrennen«, sagte er und ahmte dabei mit seinem Wischmopp einen draufgängerischen Schwertstreich nach. »Hast du Zorro gelesen?«
Ned schüttelte den Kopf.
»Oh, das ist ein tolles Buch. Dr. Brent hat es mir ausgeliehen.«
»Wie nett von ihm. Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass er ein besonders großzügiger Mensch ist.«
»Das ist er auch nicht!«, bestätigte Robbie entschieden. Ned hob fragend den Kopf, aber der Mischlingsjunge hatte sich bereits abgewandt.
»Erzählst du mir von deiner Heimat? Du kommst doch aus England?«
»Nun, eigentlich bin ich in Schottland zu Hause«, begann Ned, erfreut über diese Gelegenheit. »Schottland ist der nördlichste Teil der britischen Inseln«, erklärte er, lehnte seinen Mopp an die Wand und bildete mit den Händen ein Dreieck. »Wir haben in einem kleinen Städtchen in der Nähe der Hauptstadt Edinburgh gewohnt. Edinburgh ist eine sehr alte Stadt. Die Straßen haben Kopfsteinpflaster, und in der New Town gibt es wunderschöne georgianische Gebäude. In der Ol d Town thront ein Schloss hoch über der umliegenden Landschaft.« Er wusste, dass Robbie ihm nicht folgen konnte, aber das war ihm egal. Er wollte einfach in seinen kostbaren Erinnerungen schwelgen. »In Schottland ist es die meiste Zeit des Jahres kalt und nass.«
Robbie runzelte die Stirn.
»Es riecht auch nicht wie hier nach Orchideen und Gewürzen. Wir haben in einer Stadt an der Küste gelebt, und dort hat es nach Salz und Fisch und Apfelkuchen gerochen, nach rauchenden Kaminen, die schwarzen Kohlenstaub in die Luft spien, und im Sommer nach frisch gemähtem Gras und nach Rosen. Es hat dort zwar viel geregnet, aber die Luft war nie feucht. Hier ist meine Haut immer klamm«, fügte er schließlich mit echtem Verdruss in der Stimme hinzu.
»Gefällt es dir hier, Ned?«
Auch wenn er die Gefühle seines neuen Freundes nicht verletzen wollte, beschloss er doch, ehrlich zu ihm zu sein. »Nein. Ich würde liebend gern nach Schottland zurückkehren. Dort fände ich schnell eine ordentliche Arbeit. Entschuldige bitte, Robbie, ich will weder unhöflich noch undankbar sein. Ich weiß, dass das hier dein Zuhause ist«, sagte er, während ihm der Geruch des Desinfektionsmittels, der den der stets feuchten Kleidung überlagerte, plötzlich unangenehm in die Nase stieg.
Robbie sah ihn mit festem Blick an. »Das hier ist nicht mein Zuhause, Ned. Ich lebe hier, mehr aber auch nicht. Ich war so alt wie deine Schwester, als ich hierherkam, aber du musst sie von hier fortbringen, bevor sie durchdreht … noch bevor sie zehn Jahre alt ist.«
Ned hielt inne und starrte ihn an. »Was soll das heißen?«
»Bella kommt mir schwach vor.«
»Schwach?«
»Nein, das ist nicht das richtige Wort. Ich meine wie etwas, das kaputtgehen könnte.«
»Zerbrechlich?«
»Ja, das ist genau das, was ich meine. Mein Englisch, entschuldige. Manchmal will mir einfach nicht das richtige Wort einfallen.«
»Robbie, du sprichst meine Sprache besser als manch einer meiner Landsleute. Wo hast du das gelernt?«
»Anfangs von meiner Mutter. Sie wurde in Westbengalen, genauer gesagt in Kalkutta geboren, aber dort muss für sie
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