Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
willkommen. Wie dem auch sei, dort, wo du hinwillst, herrscht ein gemäßigtes Klima. Bangalore liegt ziemlich hoch, und es weht fast immer ein kühlender Wind.«
»Ich freue mich schon darauf.«
»Du wirst Bangalore lieben. Ich werde uns gleich morgen früh die Zugfahrkarten besorgen. Möglicherweise bekommen wir sogar ein Schlafabteil in einem Nachtzug.«
Und damit hoben sie ihre Gläser und riefen wie aus einem Munde: »Prost!«
19
April 1920
Ned reiste allein nach Bangalore. Zum ersten Mal, seit er England verlassen hatte, war Bella nicht an seiner Seite. Seine Schwester und Millie Grenfell hatten einander sofort ins Herz geschlossen, und Millie war schon bald so etwas wie Bellas Lieblingstante geworden. Ned war erleichtert, dass es im Leben seiner Schwester endlich wieder eine mütterliche Figur gab. Er hatte viele schlaflose Nächte damit verbracht, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie er allein ein Mädchen erziehen sollte.
Auch wenn vor allem der Tod ihrer Mutter noch als eine st ets gegenwärtige dunkle Wolke über ihnen hing, so war es den Grenfells doch gelungen, wieder eine gewisse ruhige Heiterkeit in das Leben der Sinclair-Geschwister zu bringen. Dr. Grenfell lebte in einem großen alten Bungalow am Rande eines Viertels in Madras, das White Town genannt wurde. Für Bella war dies die erste sichere Unterkunft, seit sie sich vor fünf Monaten nach Rangun eingeschifft hatten. Ned war alt genug, um zu begreifen, dass ihr diese Zeitspanne in ihrer kindlichen Wahrnehmung vorkommen musste wie ein ganzes Leben, und natürlich waren das geräumige Schlafzimmer mit seinen großen, mit Fensterläden versehenen Fenstern, das wunderschöne Bett mit dem sauberen weißen Bettzeug, die regelmäßigen Mahlzeiten, der weitläufige Garten, in dem sie spielen durfte, und die Diener, die ihr stets zu Diensten standen, für sie mehr als verführerisch. Deshalb brauchte er auch nicht zu befürchten, dass Bella etwas dagegen einwenden würde, wenn er jetzt allein nach Bangalore fuhr. Im Grunde war er sich sogar ziemlich sicher, dass seine Schwester seine Abwesenheit kaum bemerken würde. Die Grenfells führten ein erfülltes, aktives und vor allem durch und durch angenehmes Leben. Das Einzige, was ihnen gefehlt hatte, war jemand, den sie mit Liebe überschütten konnten, und Bella war nur allzu gern dieses eine geliebte Kind. In den Wochen nach ihrer Ankunft verfolgte Ned mit Staunen, wie sicher und schnell seine Schwester in ihrem neuen Leben Fuß fasste. Er würde sie Millies liebevoller Fürsorge nicht entreißen – und dazu sehe er auch keinerlei Veranlassung, wie er einem besorgten Dr. Grenfell versicherte, als er ihm mitteilte, nach Bangalore fahren zu wollen.
»Sie ist hier sicher und glücklich«, bestätigte er dem guten Doktor, als Grenfell schließlich fragte, ob Ned sich womöglich verpflichtet fühlte, Bella in ihrer Obhut zurückzulassen. »Ich würde nicht im Traum daran denken, ihr Leben schon wieder aus den Angeln zu heben – selbstverständlich nur, wenn es Ihnen beiden wirklich keine Mühe macht, sich um sie zu kümmern.«
»Mühe?«, fragte Grenfell mit sanfter Ironie in der Stimme. »Wir sind überglücklich, dass sie Teil unseres Lebens geworden ist. Das gilt im Übrigen auch für dich, Ned. Wir haben euch beide sehr ins Herz geschlossen. Bist du dir wirklich sicher, dass du nach Bangalore fahren musst?«
»Ja. Ich muss unbedingt diesen Dr. Walker finden. Das habe ich Robbie versprochen.«
»Natürlich. Das verstehe ich, und ich bin glücklich zu sehen, dass du den Wunsch deines Freundes respektierst. Aber wirst du auch nach Madras zurückkehren?«
»Das habe ich vor. Aber verzeihen Sie mir bitte, wenn ich sage, dass ich mich darauf lieber nicht festlegen will. Ich hoffe, das klingt nicht allzu undankbar.«
Grenfell lächelte nur. »Ein klein wenig, und das auch nur, wenn man die Umstände außer Acht lässt, mein Sohn. Mir ist bewusst, dass du eine ruhelose Seele bist. Vermutlich musst du all das, was du erlebt hast, erst einmal verarbeiten, und ich hoffe, du wirst auf deinen Reisen ein paar Antworten finden. Du bist jetzt ein Mann. Ich selbst habe mein Zuhause verlassen, als ich siebzehn war. Wenn ich daran denke, wie sehr sich meine Eltern, vor allem meine Mutter, damals darüber aufgeregt haben, kann ich heute nur noch den Kopf schütteln. Siebzehn, das klingt irgendwie sehr jung. Aber natürlich ist es das nicht, und auch du musst deinen eigenen Weg finden. Millie und ich,
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