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Herzen aus Gold: Roman (German Edition)

Herzen aus Gold: Roman (German Edition)

Titel: Herzen aus Gold: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona McIntosh
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zweites Mal anzutreffen war.
    Während Rangun für Ned in mehr als nur einer Hinsicht eine Überraschung gewesen war, so hatte er doch nicht die Gelegenheit gefunden, die Stadt so zu würdigen, wie ihm das bei Madras möglich gewesen war. Seine Zeit bei den Grenfells hatte ihn auf große Menschenmengen, Bettler, Verkehr, Lärm, Dreck , Farben und Wunder an fast jeder Ecke gut vorbereitet.
    Als er sich jetzt durch die Horden von Menschen schob, die alle lautstark seine Aufmerksamkeit forderten, tat er sein Bestes, um die Bettler zu ignorieren, die blind waren oder Gliedmaßen verloren hatten und von denen manche so entsetzlich verstümmelt waren, dass es wehtat, sie anzusehen. Aus Erfahrung wusste er, dass ihn, wenn er ein paar Münzen aus seiner Tasche nahm und sie einem der Bedürftigen gab, die anderen umso mehr bedrängen würden. Ein stilles junges Mädchen – eigentlich noch viel zu jung, um schon Mutter zu sein – lehnte an einer Säule und wiegte einen erst wenige Tage alten Säugling in einem Arm. Die freie Hand hielt sie mit hohler Handfläche ausgestreckt, den Blick hatte sie gesenkt. Es war allerdings der quirlige Hundewelpe zu ihren Füßen, der seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Sein Mitgefühl meldete sich jetzt unüberhörbar zu Wort. Er griff in seine Innentasche, in die er vorsichtshalber etwas Kleingeld gesteckt hatte, und ließ unauffällig den Gegenwert einer Rupie in die Hand des Mädchens fallen. Er wusste, dass das für sie ein kleines Vermögen war.
    »Kauf dir etwas zu essen«, flüsterte er ihr auf Tamil zu, einen Satz, den er bei Dr. Grenfell gelernt hatte, dem es immer sehr schwerfiel, an Bettlern einfach vorbeizugehen. Er hoffte, dass sie ihn verstanden hatte.
    Das hatte sie anscheinend, denn sie legte ihre Hand mit dem Geld aufs Herz und murmelte etwas, wobei sie den Blick noch immer gesenkt hielt. Als sie ihre Hand wieder öffnete, war das Geld wie durch Zauberei verschwunden. Ned lächelte leise in sich hinein. Das Mädchen mochte jung und verzweifelt sein, aber es war klug genug, um zu wissen, dass es sein Geld vor den anderen, gleichermaßen Hungrigen und Verzweifelten in Sicherheit bringen musste.
    Er ging weiter, wappnete sich gegen den Ansturm der Bettler, die sich allerdings sorgfältig davor hüteten, ihn zu berühren. Als er sich dem Ausgang des Bahnhofs näherte, riskierte er einen Blick zurück. Er stellte fest, dass die junge Mutter nicht mehr auf ihrem Platz stand. Dann trat er auf die Hauptstraße hinaus. Der köstliche Duft frisch gerösteter Erdnüsse stieg ihm in die Nase, und ihm wurde bewusst, wie hungrig er war. Er war versucht, eine kleine, in Zeitungspapier eingepackte Portion Erdnüsse zu kaufen, doch sein Magen gewöhnte sich nur langsam an die würzigeren Speisen, und er wollte die Waren der Straßenverkäufer seinen noch immer recht empfindlichen Eingeweiden nicht zumuten. Seit er Schottland verlassen hatte, hatte er bereits über sechs Kilo abgenommen, und er sah ziemlich mager aus. Er schüttelte verneinend den Kopf, als ihm ein junger Mann am Straßenrand Guaven anbot, die er mit einem gefährlich aussehenden Messer, das er immer wieder in Salz und Chilipulver tauchte, aufschnitt. Während ihm angesichts der angebotenen Nahrung noch immer das Wasser im Mund zusammenlief, winkte er eine der vielen Rikschas herbei. Die kleine Ledertasche, die die Grenfells ihm geschenkt hatten, auf den Knien, nannte er dem drahtigen alten Rikschamann die Adresse in der nahe gelegenen Sheshadri Road.
    Der Mann stürzte sich mit einem Ruck und einem lauten Warnruf in den Verkehr, und Ned, der sich bemühte, das schlechte Gewissen zu verdrängen, das ihn befiel, weil er sich von einem Mann, der sein Großvater hätte sein können, durch die Straßen ziehen ließ, lehnte sich unter dem Baldachin zurück und ließ dabei die ersten Eindrücke der Gartenstadt Bangalore auf sich wirken.

20
     
    Dr. Walker war genauso entgegenkommend und freundlich, wie Robbie ihn beschrieben hatte. Sein Schopf stahlgrauer Haare und die tiefe Stimme verliehen ihm etwas Vornehmes, das ganz genau zu dem Bild passte, das Ned sich von ihm gemacht hatte. Er hatte Ned über die Schwelle des großen, weiß gekalkten Hauses in der ruhigen, von Bäumen gesäumten Straße gebeten und ihn in das geräumige, von drei hohen Bogenfenstern erhellte Wohnzimmer geführt, um ihn seiner Ehefrau vorzustellen.
    Die unverzichtbaren Deckenventilatoren drehten sich langsam über ihnen. Das Zimmer wurde von einem angenehm

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