Herzen aus Stein (German Edition)
mehr als ein Haufen Geröll auf einem grünen Hügel übrig. Seine ehemalige Residenz war eine Burgruine, die vielleicht noch ein paar Touristen anlockte.
Flüche vor sich hinmurmelnd kickte Ash Steinchen aus dem Weg, während er zwischen den Überresten der Grundmauern umherspazierte. Sie waren mit Moos bewachsen und Gras sowie Büsche überwucherten alles. Das Gras war nass, die Steine glitschig. Es roch nach Laub. Der verregnete Vormittag passte hervorragend zu Ashs Stimmung. Wegen des unfreundlichen Wetters befand sich kein Spaziergänger auf der leichten Anhöhe, von der aus man einen wunderbaren Blick auf die Alster hatte. Der Fluss schlängelte sich zwischen Bäumen und Feldern hindurch. Auch heute noch sah es hier idyllisch aus. In der näheren Umgebung befanden sich nur w e nige Häuser; beinahe glaubte Ash, sich wieder im Mittelalter zu b e finden. Wenn doch die Zeit tatsächlich stehen geblieben wäre!
Ash rieb sich über den feuchten Nacken, als ihn wie immer an di e sem Ort die Erinnerungen überwältigten. Das hier war sein irdisches Zuhause gewesen. Von hier aus hatte er regiert, Könige und Fürsten nach seiner Pfeife tanzen lassen, Frieden gestiftet und Kriege he r aufbeschworen , indem er die Menschen ohne ihr Wissen manipuliert hatte. Ash hatte auf Geheiß des Schicksalsengels Uriel gehandelt, wie die weiteren sechs Herrscherengel, die andere Teile der Welt unter sich hatten. Allerdings hatte Ash nicht immer genau das getan, was man ihm vorgeschrieben hatte. Warum Kriege anzetteln, wenn es andere Lösungen gab? So hatte er damals gedacht und sich lieber den angenehmen Dingen des Lebens zugewandt. Es konnte nicht wir k lich Uriels Ernst sein, dass sie als Engel Kriege heraufbeschwören sollten. Sie waren die Guten.
Ash hatte seinen eigenen Willen allerdings teuer bezahlt. Er verlor seine Macht, seine Kräfte und seine wundervollen Flügel.
Aber seine Vergangenheit half ihm, den Hass zu schüren. All die Jahrhunderte hatte er Ceros’ Pläne hinter dessen Rücken durc h kreuzt. Ash hatte sogar die Hexe laufen lassen und sich anschließend um ihren Bruder gekümmert. Und wofür? Raphael hatte sein Ve r sprechen bis heute nicht gehalten, stattdessen hatte sich der Erzengel Ashs Territorium unter den Nagel gerissen. Raphael residierte in einer Villa, weit weg von hier, in einer anderen europäischen Stadt: Brüssel. Dieser Heuchler. Hatte wohl nicht den Ort vor Augen h a ben wollen, an dem er seinen Freund verraten hatte.
Raphael hatte Ash bis heute nicht aus der Hölle geholt. Ash hatte seinen ehemaligen Freund schon öfter in dessen irdischer Residenz besuchen wollen, doch irgendein Schutzmechanismus verhinderte jedes Mal, dass er das Grundstück betreten konnte. Es war, als wü r de er gegen eine unsichtbare Wand prallen.
Er sprang über eine weitere Mauer und befand sich in seinem ehemaligen großen Saal. Ash ging bis zur Mitte, wo kein Gras wuchs. Hier kniete er sich hin und schloss die Augen, während der Regen über sein Gesicht rann. Seine Kleidung klebte auf der Haut, doch das spürte er fast nicht. Auch die Kälte machte ihm als Dämon kaum etwas aus. Ihm war, als wäre er längst tot. Sein Herz schien aus Eis zu bestehen, nur die Wut brannte lichterloh.
Ash drückte seine Hand auf einen Stein, den er vor langer Zeit freigelegt hatte. Es war ein Überbleibsel vom Boden der großen Halle, der nicht wie damals in Burgen üblich mit Stroh bedeckt g e wesen war. Nein, er hatte einen prächtigen Rittersaal besessen, mit einem Boden aus feinstem Marmor. Die Erzengel hatten ihm die Erinnerung an sein altes Leben nicht genommen, wie es sonst Usus war, wenn einer der ihren fiel. Dadurch, dass Ash noch alles haarg e nau vor Augen hatte, war seine Schmach umso größer. Er, einst Herrscher über einen ganzen Kontinent, war ein Handlanger des Höllenfürsten Ceros. Es gab zahlreiche von diesen äußerst mächt i gen Dämonen. Sie stellten in etwa das Pendant zu den Erzengeln dar. Die Dämonenfürsten lebten nur nicht so friedlich miteinander, denn sie kämpften täglich aufs Neue um ihr Territorium. Ceros g e hörte zu den Stärksten und wurde immer mächtiger. Seine Liebling s sklaven, wie er Jamiel und Ash immer nannte, hatten im Laufe der Zeit einiges dazugetan. Jamiel und Ash hatten immer gehofft, sich durch ihre Dienste freikaufen zu können. Sie würden allerdings nie ihre Freiheit zurückerlangen, da war Ash sicher.
Er horchte in sich hinein und hörte, wie er vor sechs Jahrhunde r ten in
Weitere Kostenlose Bücher