Herzen im Feuer
dem Tablett zurückkommen sah. »Soll ich einen Arzt holen?«
Jenny schüttelte abwehrend den Kopf. »Noch jemanden, der die Treppe rauf- und runterpoltert, können wir wirklich nicht brauchen. Nein, sie bekommt gerade die beste Medizin, die sie haben kann, nämlich Schlaf. Das ist die beste Kur für Geist und Körper.«
Jenny setzte sich und goß sich selbst den Tee ein. Sie haßte jede Verschwendung. »Merkwürdig, daß die Witwe plötzlich am Grab aufgetaucht ist. Haben wir sie nicht bei Delmonico getroffen? Damals benahmen sie sich wie Fremde. Ich weiß nicht mehr, wie sie sich damals nannte, aber keinesfalls war es Molly O'Flynn. Und sie hat ihren Sohn kein einziges Mal angesehen«, bemerkte sie entrüstet. »Wahrscheinlich rannte diese Molly O'Flynn fort und ließ die beiden mit dem Baby allein. Können Sie sich das vorstellen?«
»Nach allem, was ich über diese Frau gehört habe, ist das sehr gut möglich«, bestätigte der Schwede. Er fühlte längst nicht soviel Zorn wie Jenny.
»Ich finde, sie ist ein Monster, und ich hoffe nur, daß sie Mara keine Schwierigkeiten macht«, meinte Jenny besorgt und reichte dem Schwe- den den Apfelstrudel, den er seit geraumer Zeit fixiert hatte.
»Ich wüßte nicht, was sie unternehmen sollte«, erwiderte der Schwede unbekümmert und grub seine Zähne in das frische Gebäck. »Außerdem werde ich Mara beschützen, sollte es notwendig werden.«
»Ich hoffe, daß das nicht notwendig wird. Seid ruhig!« ermahnte sie die Kinder, die schon wieder lauter wurden. Sie lächelte, als sie das verdutzte Gesicht des Schweden sah, der sich im ersten Augenblick auch angesprochen gefühlt hatte.
Mara schlief den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht. Als sie am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich bereits wieder imstande, Entscheidungen zu treffen. Einen Augenblick lang plagten sie Gewis- sensbisse, weil sie Paddy so vernachlässigt hatte, dann hörte sie Geläch- ter von unten und seufzte erleichtert, denn Paddys Gekicher war unüberhörbar dabei.
Mara war gerade auf der Treppe, als Jenny aus dem Speisesaal kam und überrascht innehielt. Mara setzte ihren Weg fort und streifte sich Handschuhe über.
»Ich muß mich um Brendans Geschäfte kümmern - seine Angelegen- heiten ordnen«, erklärte sie.
»Fühlen Sie sich wirklich schon dazu in der Lage? Der Schwede wollte Sie heute besuchen und fragen, ob er Ihnen behilflich sein kann«, bot ihr Jenny an.
»Ich werde schon damit fertig. Und ich möchte das möglichst schnell hinter mich bringen.«
Sie hatte es schneller hinter sich gebracht, als sie geahnt hatte. Denn es gab nur sehr wenig zu ordnen und sehr wenig Geld, um das sie sich kümmern mußte. Von Brendans Vermögen waren nur noch ein paar Tausend Dollar übrig. Und die wenigen persönlichen Dinge, die er besessen hatte, nahm sie an sich.
Was war mit all dem Geld geschehen? Wie betäubt kehrte Mara zur Pension zurück. Dann fielen ihr die Kleider, die Abendessen, die Parties und die vielen Nächte in den Spielsalons wieder ein. Nein, sie konnte ihm nicht böse sein. Es war schließlich Brendans Geld gewesen, und er hatte damit machen können, was ihm gefiel. Sie war froh, daß er vor seinem Tod wie ein König und nicht wie ein Bettler gelebt hatte. Nein, sie konnte ihm nichts übelnehmen.
Mara blieb auf dem Bürgersteig stehen und wartete geduldig, bis ein vollbeladener Wagen vorbeigezogen worden war und sie die Straße überqueren konnte. Plötzlich entdeckte sie eine vertraute Gestalt, die auf der anderen Straßenseite entlangspazierte. »Nicholas«, flüsterte Mara unhörbar. Ihr Blick war auf seinen breiten Rücken geheftet, als er anhielt und sich eine Zeitung kaufte, die an jeder Straßenecke feilgebo- ten wurden und die, da sie mit den Dampfern kamen, höchstens ein paar Monate alt waren. Dann setzte er seinen Weg fort, ohne auch nur einmal in ihre Richtung zu blicken.
Endlich war die Straße frei, und die Menschen setzten ihren Weg fort. Mara wollte eben losgehen, als sich ein Arm um ihre Taille schlang und sich eine Hand in ihre Magengegend grub. Zornentbrannt drehte Mara sich um. Vor ihr stand Jacques d'Arcy.
Er betrachtete sie lüstern und vollkommen unberührt von ihrem Zorn. Sein Griff verstärkte sich noch, als er sagte: »Du willst doch nicht unfreundlich zu dem guten Jacques sein, oder, ma chérie? Mach keine Szene, dann passiert dir nichts.« Jacques grinste sie breit an, und seine Augen flackerten hinterhältig. »Es möchte sich nur jemand mit
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