Herzen im Feuer
heruntergekom- men, aber es strahlte immer noch den gleichen Charme aus wie damals. Gedankenverloren strich er durch die schmalen Straßen. Er versuchte eine Antwort auf die Frage zu finden, warum das Haus der de Mon- taigne-Chantales leerstand, und das offenbar schon seit langem.
Mara schaute sich in der Suite um, die Nicholas für sie gemietet hatte, und fragte sich, ob sie für sie allein oder für sie beide gedacht war. Vielleicht war das seine Art, sich zu verabschieden? Denn höchstwahr- scheinlich würde er in diesem Augenblick von seiner Familie mit offe- nen Armen empfangen, und das bedeutete das Ende ihrer Liaison. Sie hatte ihn nicht gefragt, warum er es so eilig hatte, nach New Orleans zurückzukehren, denn das Thema war ihm offensichtlich unangenehm gewesen. Er hatte ihr lediglich erklärt, er habe einen Brief von seinem Vater erhalten, der ihn gebeten hätte, heimzukommen. Sie hatte nicht
weiter nachgebohrt, aber ihre Neugier war geweckt. Sie hatte ihm nicht gestanden, daß sie den Klatsch über seine Vergangenheit und die zwei- felhaften Umstände seiner Flucht aus New Orleans kannte, die weit über das hinausgingen, was er ihr einst erzählt hatte.
Nein, entschied Mara plötzlich, Nicholas würde nicht zum Saint- Louis-Hotel zurückkommen und das Zimmer mit ihr teilen. Es war höchste Zeit, daß sie Pläne für die Zukunft schmiedete, denn jetzt konnte sie wieder tun und lassen, was sie wollte. Das hatten sie schließ- lich auch vereinbart. Nur bedauerlich, daß Nicholas vergessen hatte, das Geld für die Überfahrt nach Europa dazulassen.
Mara ließ ihren Blick über die Einrichtung des Zimmers schweifen und hoffte, daß er wenigstens dafür bezahlt hatte. Denn es war be- stimmt nicht billig, dachte sie. Die Möbel im Neorokokostil waren aus Mahagoni und vergoldet, die Stühle mit Schnitzereien verziert und mit rotem Samt gepolstert. Vergoldete Spiegel, die von der Decke bis zum Boden reichten, und schwere Kristallüster ließen den Raum erstrahlen und brachten die Farben des dicken türkischen Teppichs zum Leuch- ten.
»Wo ist Onkel Nicholas?« wollte Paddy wissen, der eben die Straße inspiziert hatte und nun zurückkam. »Er hat versprochen, mit mir angeln zu gehen.«
»Paddy, mein Lieber«, erklärte ihm Mara mit tröstendem Lächeln, »du solltest Nicholas wirklich nicht >Onkel< nennen. Außerdem hat er nicht versprochen, mit dir angeln zu gehen, stimmt's?« fragte Mara nach, weil sie ihm eine allzu große Enttäuschung ersparen wollte. »Ich glaube, wir werden nicht so lange in New Orleans bleiben, daß du angeln gehen kannst.«
Paddy stampfte zornig auf. »Er hat es mir doch versprochen! Er hat gesagt, wir gehen angeln, und er hat gesagt, ich darf ihn Onkel nennen, wenn ich will«, erklärte er trotzig. Er stützte die Hände in die Hüften, schob sein Kinn herausfordernd vor und funkelte sie aus seinen dunk- len Augen an. Wieder erinnerte er Mara beinahe schmerzhaft an Brendan.
»Ich will nur nicht, daß du enttäuscht wirst, Paddy«, wies ihn Mara zurecht. »Nicholas hat seine Familie und seine Freunde hier, und mit denen wird er die meiste Zeit verbringen. Wir sind nicht seine Familie und ihm auch nicht besonders wichtig, mein Kleiner.«
Paddys Unterlippe begann gefährlich zu zittern, und er versuchte,
seine Tränen zurückzuhalten. »Warum können wir nicht seine Familie sein? Er mag dich, und er mag mich, und er würde nie einfach so fortgehen, ohne mir was zu sagen«, widersprach Paddy ihr. Doch seine kleinen Schultern sackten herab. »Niemand bleibt bei uns, Mara. Ha- ben wir denn niemanden?« fragte er pathetisch. »Papa ist fort, und der Schwede ist fort, und Gordie und Paul auch. Will denn gar niemand bei uns bleiben?«
Mara war von dieser Frage so überrascht, daß sie den Blick von seiner bedrückten, mutlosen Gestalt abwenden mußte. In seinem blauen Ma- trosenanzug sah er aus wie ein kleiner Mann, der die Last der Welt auf seinen Schultern trug.
Dann eilte sie zu ihm und umarmte ihn, während er seine kleinen Arme um sie schlang und sich an sie klammerte, als ob sein Leben davon abhinge.
»Ich werde immer für dich dasein, Paddy«, versprach Mara ihm mit brüchiger Stimme. »Ich werde dich nie verlassen. Das glaubst du mir doch, oder?«
»Ich hab' dich lieb, Mara«, flüsterte er und drückte sein Gesicht in ihren Rock.
Mara beugte sich herab und küßte ihn auf seinen Kopf. Sie fragte sich, ob sie seinem Vertrauen gerecht werden konnte. Einen Moment lang
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