Herzen in Gefahr
sagte kühl: »Ich muss jetzt den Fußboden wischen. Sie sind mir dabei im Weg.«
»Dann verschwinde ich wohl besser.« Sorgfältig breitete er das Handtuch zum Trocknen aus und ging ohne ein weiteres Wort aus der Küche. Cathleen wartete zehn Sekunden. Dann griff sie nach dem Putzlappen und warf ihn wütend auf die Stelle, wo Keith eben noch gestanden hatte.
Zwei Stunden später, nachdem Cathleen sich umgezogen und etwas zurechtgemacht hatte, traf sie die Grants im Gesellschaftsraum der Pension. Joes Overall befand sich wohlverpackt in einer Plastiktüte, die sie auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads befestigt hatte. Die Spuren, die das heiße Seifenwasser jeden Tag an ihren Händen hinterließ, hatte sie mit Hilfe von Mrs. Malloys Handcreme beseitigt. Natürlich war auch Keith anwesend. Cathleen hatte es nicht anders erwartet. Sie sah über ihn hinweg, so gut es eben ging.
»Mutter hat mir einen Rosinenkuchen für dich mitgegeben«, sagte sie zu Dee und reichte ihr einen mit einem Tuch abgedeckten Teller.
»Vielen Dank«, meinte Dee erfreut. »Ich kann mich noch gut an den berühmten Rosinenkuchen deiner Mutter erinnern.« Sie lüftete das Tuch ein wenig und schnupperte genussvoll an dem Teller. »Ich bin ja so froh, dass du uns heute begleiten kannst.«
»Ich fahre aber nur unter der Bedingung mit, dass ihr nachher alle zu uns kommt. Mutter erwartet euch.«
»Dann sollten wir jetzt langsam aufbrechen. Brendon, Lisa, macht euch fertig. Wir wollen einen Ausflug machen.«
Die Kinder ließen sich das nicht zweimal sagen, und kurz darauf stiegen alle in den Bus. Sie besuchten zuerst den kleinen Friedhof mit seinen verwitterten grauen Grabsteinen. Es waren zwar einige von Cathleens Vorfahren hier begraben, aber einen näheren Angehörigen hatte sie noch nie verloren. Sie wusste deshalb auch nicht, was Trauer war, konnte sich jedoch vorstellen, wie schrecklich es sein musste, wenn ein geliebter Mensch starb.
Es ist doch schon so lange her, dachte sie, als sie ihre Cousine zwischen den Gräbern ihrer Eltern stehen sah. Überwand man den Verlust nicht mit der Zeit? Dee war schließlich kaum älter als zehn Jahre gewesen, als sie ihre Eltern verlor. Konnte sie sich überhaupt noch an sie erinnern?
»Es tut immer noch weh«, murmelte Dee, während sie auf die Steine hinunterblickte, auf denen die Namen ihrer Eltern eingemeißelt waren. Seufzend blickte sie zu Travis auf, der neben sie getreten war. »Ich kann es immer noch nicht verstehen.«
Travis ergriff mitfühlend ihre Hand. »Ich wünschte, ich hätte deine Eltern gekannt.«
»Sie hätten dich sehr lieb gehabt.« Unter Tränen lächelte sie ihn an. »Und die Kinder auch. Sie hätten sie schrecklich verwöhnt.«
»Du sollst nicht weinen, Mom.« Lisa fasste ihre Mutter bei der anderen Hand. »Schau, ich habe einen Kranz gemacht. Keith hat mir dabei geholfen. Er sagte, sie würden sich darüber freuen. Auch wenn sie im Himmel sind.«
Dee betrachtete den kleinen Kranz aus Zweigen und wilden Gräsern. »Ist der aber schön! Komm, wir legen ihn hier in die Mitte.« Sie bückte sich, um den Kranz zwischen die Gräber zu legen. »Ja, ich bin sicher, sie freuen sich darüber.«
Was ist er doch für ein seltsamer Mann, dachte Cathleen, als sie wenige Minuten später neben Keith im Bus saß und zuhörte, wie er mit Brendon scherzte. Sie hatte ihn eben im Gras sitzen und einen Kranz für Lisa flechten sehen. Und obwohl sie nicht hören konnte, worüber er mit dem Kind sprach, war ihr aufgefallen, wie vertrauensvoll das kleine Mädchen zu ihm aufgeschaut hatte. Dabei war er in ihren Augen alles andere als vertrauenerweckend.
Cathleen kannte die Straße, die zu dem Hof führte, der einmal den Cunnanes gehörte. An Dees Eltern konnte sie sich gar nicht mehr erinnern. Doch dafür umso besser an Lettie Cunnane, die Tante, die nach dem Tod von Dees Eltern für das verwaiste Kind gesorgt hatte. Sie war eine spröde Frau mit ernstem, abweisendem Gesicht gewesen. Ihretwegen hatte Cathleen damals ihre Besuche auf dem Hof der Cunnanes beinahe eingestellt. Aber diese Zeiten lagen glücklicherweise weit zurück. »Siehst du diesen Hügel dort vorn?«, sagte sie zu Brendon und deutete zum Fenster hinaus. »Dahinter hat deine Mutter als Kind gewohnt.«
»Auf einer Farm«, sagte der Junge in altklugem Ton. »Wir haben auch eine Farm. Die beste in ganz Maryland.« Dabei grinste er Keith an, der die Herausforderung sofort annahm. Offenbar handelte es sich dabei um ein altes Spiel
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