Herzen in süßer Gefahr (German Edition)
lächelte. „Trink aus, mein Junge, trink aus.“
Josette saß am Rande der Schlucht und ließ ihren Blick über die zerklüftete Landschaft schweifen. Es war kälter geworden, und es schien, als wolle die Feuchtigkeit ihr bis in die Knochen dringen. Josette wusste nicht, wie lange es dauern würde, bis Molyneux ihre Abwesenheit auffiel, also genoss sie das Alleinsein, solange sie konnte.
Eine Weile lauschte sie dem vertrauten Geräusch der Hämmer beim Zeltaufbau, den gedämpft zu ihr heraufdringenden Unterhaltungen und dem leisen Lachen der Soldaten.
Dann atmete sie tief ein, und ein wenig von der Anspannung, die sie seit Telemos im Griff hatte, ließ von ihr ab. Sie musste wieder an Dammartin und seine Anschuldigung denken. So lächerlich und entsetzlich die bloße Vorstellung war, so konnte Josette jetzt zumindest die düstere Stimmung des Capitaine verstehen. Er war ein Mann, den seine Bitterkeit und der Wunsch nach Rache zu überwältigen drohten, und ein Mann, der Höllenqualen litt. Und all das wegen einer Lüge.
Ihr Vater hatte niemanden ermordet. Lieutenant Colonel Mallington war ehrlich und standhaft gewesen, kein Mann, dessen Integrität sich korrumpieren ließ. Doch Dammartin glaubte die Lüge, und das erklärte den Hass in ihm, wenn auch sonst nicht sehr viel.
Warum hatte er sie mitgenommen? Offenbar hegte er doch gar nicht die Absicht, den letzten Wunsch ihres Vaters zu erfüllen. Um Informationen von ihr zu erhalten? Von den Kurieren ihres Vaters hatte er jedenfalls gewusst, und nicht durch sie. Und warum war er ihr bei ihrer Flucht gefolgt? Was kümmerte es ihn, ob sie starb oder nicht?
Sie erinnerte sich, wie behutsam er sie von dem felsigen Abhang heruntergelotst hatte. Wie er sie in der Nacht mit seinem Mantel zugedeckt hatte, wie sanft sein Kuss geworden war. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Es gab so viele Fragen, aber keine einzige Antwort.
Ein Zweig hinter ihr knackte, Kiesel knirschten unter Stiefelsohlen. Josette wandte den Kopf, um Molyneux zu sagen, dass sie sich gerade hatte auf den Rückweg machen wollen. Doch es war nicht der Lieutenant, der hinter ihr stand.
„Was soll das heißen, sie ist noch nicht zurück?“, verlangte Dammartin zu wissen. „Wo zum Teufel ist sie?“
„Sie wollte die Latrine aufsuchen“, antwortete Molyneux, blass vor Sorge.
„Und Sie haben sie allein gehen lassen?“
Molyneux fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Man kann doch nicht von ihr erwarten, dass sie in meiner Anwesenheit … ihre Notdurft verrichtet.“
„Was Sie nicht sagen. Ich hatte Ihnen befohlen, nicht von ihrer Seite zu weichen.“
Der Sergeant hob leicht das Kinn. „Sie ist eine Dame, mon Capitaine .“
„Ich weiß verdammt gut, was Mademoiselle Mallington ist“, fuhr Dammartin ihn an und sah sich um. „Holen Sie Ihre Muskete, Lamont, und zwei Soldaten. Wir haben nicht viel Zeit, bevor es dunkel wird.“
Molyneux salutierte und wandte sich ab.
„Molyneux?“, rief Dammartin ihm nach. „Sie folgen ihren Spuren zu Fuß bis zur Schlucht.“
Eine schwielige Hand presste sich erbarmungslos auf Josettes Mund, ein sehniger Arm schloss sich um ihre Brust und die Oberarme. Unsanft wurde sie hochgerissen. Sie trat um sich, und der Absatz ihrer Stiefelette traf das Schienbein ihres Angreifers.
Der Mann ließ ein unwilliges Knurren hören. Er riss sie zu sich herum, holte aus und verpasste ihr einen harten Schlag ins Gesicht.
Sie wollte schreien, aber schon lag seine Hand um ihre Kehle und drückte zu, sodass sie keine Luft mehr bekam. Der Mann sagte etwas auf Portugiesisch, hob sie mit der Hand, die ihren Hals umfasst hielt, vom Boden hoch, als wiege sie nicht mehr als eine Feder.
Dann legte er den Finger an die Lippen und maß sie mit einem warnenden Blick. Josette nickte, so gut sie konnte. Er schien von ihr zu verlangen, keinen Laut von sich zu geben. Sie begann, das Bewusstsein zu verlieren, alles um sie wurde dunkel, da lockerte er seinen Griff, und Josette fiel keuchend auf den Boden.
Plötzlich hörte sie noch mehr Stimmen, und als sie den Kopf hob, standen weitere fünf Männer vor ihr, genauso zerlumpt und bärtig wie ihr Angreifer. Sie waren allesamt dünn, fast mager, ihre Kleidung schmutzig und ihre Mienen feindselig und hart. Sie standen um sie herum wie Wölfe, die ihre Beute umzingelten.
„Inglês“ , sagte sie heiser und suchte verzweifelt nach einigen Brocken Portugiesisch, mit denen sie sich verständlich machen konnte. „Não
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