Herzenhören
Klebstoff. Zwei Petroleumlampen auf dem Tisch gaben zusätzliches Licht. U Ba blickte mich über den Rand einer dicken Brille an.
»U Ba, was machen Sie hier?«
»Ich vertreibe mir die Zeit.«
»Womit?«
»Ich restauriere Bücher. Mein Hobby, wenn Sie es so nennen wollen.« Er nahm mit einer dünnen, langen Pinzette einen winzigen Fetzen Papier, tupfte ihn kurz in den Kleber und platzierte ihn auf eines der kleinen Löcher im Buch. Mit einem feinen schwarzen Stift zeichnete er dann darauf die obere Hälfte eines o nach. Ich versuchte den Text zu lesen, zu dem der Buchstabe gehörte.
We s al not cease fr m exp orati n
and t e end of al our expl ring
wi l b to a rive w er we starte
and kno th pl ce fo he fir t im .
U Ba schaute mich an.
We shall not cease from exploration
and the end of all our exploring
will be to arrive where we started
and know the place for the first time.
Er hatte auswendig zitiert.
»Aus einer Sammlung von Eliot-Gedichten. T. S. Eliot. Ich schätze ihn sehr.« Er lächelte zufrieden und zeigte mir die ersten Seiten des Buches. Sie waren übersät mit aufgeklebten Papierschnitzeln. »Ich will nicht behaupten, dass es wie neu aussieht, aber es ist wieder lesbar.«
Ich blickte abwechselnd auf ihn und das Buch. Meinte er das im Ernst? Es hatte noch mindestens zweihundert zerlöcherte Seiten. »Wie lange brauchen Sie für einen Band?«
»Heute ein paar Monate, früher ging es schneller. Jetzt machen die Augen nicht mehr richtig mit, und nach ein paar Stunden klagt das Kreuz über das gebeugte Sitzen. An anderen Tagen zittert meine Hand zu sehr. Das Alter, Julia.« Er blätterte durch die restlichen Seiten und seufzte. »Dieses Buch ist aber auch wirklich in einem erbärmlichen Zustand. Selbst die Würmer scheinen Eliot zu schätzen.«
»Es muss doch einen effizienteren Weg geben, diese Bücher zu restaurieren. So schaffen Sie es nie.«
»Keinen, der in meiner Macht steht, fürchte ich.«
»Ich könnte Ihnen einige der Bücher, die Ihnen sehr viel bedeuten, als Neuausgaben aus New York schicken«, schlug ich vor.
»Bemühen Sie sich nicht. Die wichtigsten habe ich gelesen, als sie noch in besserem Zustand waren.«
»Warum restaurieren Sie sie dann?«
Er lächelte. »Es macht mir Spaß. Es lenkt mich ab.«
»Wovon?«
Er überlegte. »Eine gute Frage. Sie werden die Antwort wissen, sobald ich Ihnen unsere Geschichte zu Ende erzählt habe.«
Wir schwiegen eine Weile, und ich schaute mich weiter um. Ich stand in einem Holzhaus ohne Strom und fließendes Wasser und war von tausenden von Büchern umgeben. »Wo haben Sie die alle her?«, fragte ich.
»Von den Engländern. Ich war schon als Junge in Bücher vernarrt. Nach dem Krieg sind viele Briten nicht zurückgekehrt und nach unserer Unabhängigkeit zogen Jahr für Jahr mehr fort. Was sie an Büchern nicht mitnehmen wollten, gaben sie mir.« Er stand auf, ging zu einem Regal, zog ein ledergebundenes Buch heraus und schlug es auf. Die Seite wirkte wie perforiert. »Sie sehen, leider ist es vielen so ergangen wie dem Eliot-Band. Das Klima. Die Würmer und das Ungeziefer.« U Ba ging zu einem kleinen Schrank hinter seinem Schreibtisch. »Die hier habe ich schon fertig.« Er zeigte auf ein paar Dutzend Bücher, nahm eines davon und reichte es mir. Es hatte einen kräftigen Einband aus Leder und fühlte sich schön an. Ich schlug es auf. Schon die erste Seite war gesprenkelt mit Papierpunkten. THE SOUL OF A PEOPLE stand dort in großen Buchstaben. London, 1902.
»Falls Sie mehr über unser Land wissen wollen, ist dies ein guter Anfang.«
»Es ist schon etwas älter«, sagte ich ein wenig irritiert.
»Die Seele eines Volkes ändert sich nicht so schnell«, meinte er.
U Ba zog an seinem Ohrläppchen und blickte umher, als suche er etwas. Er nahm ein paar Bücher aus einem unteren Regal. Sie standen zweireihig. Aus einer roten Lackdose auf seinem Schreibtisch nahm er einen Schlüssel und öffnete eine Schublade. »Ich hatte es weggeschlossen, das habe ich mir gedacht«, sagte er und zog ein Buch heraus. »Es ist in Braille. Su Kyi gab es mir kurz vor ihrem Tod. Es ist der erste Band von einem von Tin Wins Lieblingsbüchern. Sie hatte vergessen, es ihm für seine Reise nach Rangun einzupacken.«
Es war schwer und unhandlich, mehrere Klebestreifen hielten den Rücken notdürftig zusammen. »Setzen Sie sich. Kommen Sie mit, trinken Sie einen Kaffee und schauen es sich in Ruhe an.«
Wir gingen ins Wohnzimmer. U Ba goss aus einer
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