Herzensach - Roman
Freiheit, das Kind aufzuziehen, die Mutterrolle zu übernehmen oder nicht. Wie immer sie sich entschied, dem Kind würde es gutgehen und an nichts fehlen. Noch tendierte sie zur Freiheit. Aber selbst wenn sie die Mutterrolle annahm, was würde das für ein empfindsamer und rücksichtsvoller Vater sein!
»Das mußt du zugeben, er ist ein idealer Vater.«
Zögernd hatte Jan eingewilligt. Sie hatte sein Zögern als Ausdruck seiner Rücksichtnahme interpretiert. Er achtete sie und wollte ihre Freundschaft – nicht ihre biologischen Möglichkeiten als Frau, nicht ihre Dienste. Seine Einwilligung meinte sie ihm geradezu abringen zu müssen. Es überzeugte sie um so mehr.
Der Vertrag war entworfen, und alles schien einzig nach ihren Wünschen formuliert. Sie bekam bei einer Schwangerschaft bereits so viel Geld, daß sie fast von den Zinsen leben konnte. Nach der Geburt war noch einmal dieselbe Summe fällig. Und die Gelder waren durch Bankbürgschaften abgesichert. Natürlich war das schriftliche Eheversprechen Jans nichts wert. So etwas ließ sich nicht vertraglich regeln. Wichtiger: Alle, außer ihr, waren zu vollkommenem Stillschweigen verpflichtet. So konnte sie bestimmen, wieviel und was die Öffentlichkeit erfahren sollte. Nichts würde dem Zufall oder dem Willen anderer überlassen sein. Es war ein Vertrag, der sie nicht einengte, sondern ihr Freiheiten brachte, die sie nie besessen hatte.
Katharina fuhr mit der Hand über Trivials Rücken. »Dich werde ich allerdings vermissen!« Er drängte sich an ihre Beine. Sie betrachtete das Gutshaus. Der Vertrag gab ihr das Recht, ab der Unterzeichnung dort zu wohnen. Die Möglichkeit, von einem Tag auf den anderen den Einflußbereich des Tischlers zu verlassen, verschaffte ihr Genugtuung. Wo würde man sie unterbringen? Nein, das war falsch gedacht. In welchen Räumen würde sie verlangen zu wohnen? So war es richtig! Sie betrachtete die Fenster und mußte sich eingestehen, daß sie nur bei wenigen wußte, welche Räume sich dahinter verbargen. Waren überhaupt alle Zimmer bewohnbar?
Sie hielt inne, verließ die Mitte der Pappelallee und lehnte sich gegen einen der Bäume. Sie war auf dem Weg, den Vertrag zu unterschreiben, und mit einem Mal wurde sie unsicher. Was wußte sie über die Vorgänge im Gutshaus? Was wußte sie über Jan? Es war wenig. Als Kinder hatten sie miteinander gespielt. Nein, er war kein Kind mehr gewesen. Er war fünfzehn Jahre älter als sie – oder waren es sogar mehr Jahre? Nicht einmal sein genaues Alter kannte sie. Er war mit ihr oft spazierengegangen, wie es ein großer Bruder tat. Warum hatte er das getan? Was hatte er davon gehabt, als Zwanzigjähriger mit einem dummen kleinen Mädchen an der Hand durch den Wald zu gehen? Bisher war sie von seinem Wohlwollen überzeugt gewesen – aber was, wenn er gar keine guten Absichten hatte? Wenn es doch nur um Betrug ging?
»Verdammt«, sagte sie und hockte sich zu Füßen der Pappel vor Trivial nieder. »Ich wollte eigentlich deinen Rat! Wen soll ich sonst fragen?«
Trivial setzte sich und drehte den Kopf in Richtung Gutshaus.
»Du bist dagegen, nicht wahr?«
Vielleicht mußte mehr Zeit vergehen, vielleicht war es notwendig, mit größerem innerem Abstand Wort für Wort der Vereinbarung noch einmal zu lesen und dabei jedem eine negative Bedeutung zu geben. Aber hatte sie das nicht schon getan? Jeder Satz war gedreht und gewendet worden, daraufhin geprüft, welchen Sinn er für Jan und welchen er für sie hatte. Und doch hatte sie etwas übersehen: Was war, wenn der Vertrag in böser Absicht formuliert, wenn er die Grundlage eines Verbrechens sein sollte?
Sie lehnte sich an den Stamm des Baumes und sah an ihm hinauf in den Himmel. Sollte sie umkehren? Vielleicht war es ein Fehler gewesen, niemanden einzuweihen. Vielleicht hätte sie wenigstens den Pastor um Rat fragen sollen. Sie lachte. Rudolf Pedus wäre mit einem solchen Vertrag ganz und gar nicht einverstanden gewesen. Für ihn mußte die Liebe die Grundlage allen Handelns sein. Daß man gerade sie ausließ, um zu sicheren Vereinbarungen zu kommen, würde er niemals begreifen. Nein, es gab niemanden, der ihr hätte raten können, denn es gab niemanden, der sie wirklich kannte. Das war gut so. Daß es jemanden geben könnte, der alles über sie wußte, war für sie eine entsetzliche Vorstellung. Nein, sie hatte keinen Rat nötig. Sie wollte die Verantwortung für sich selbst nicht teilen.
Sie allein wußte, was für sie gut und richtig
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