Herzensach - Roman
plötzlich kehrte die Anspannung in ihren Körper zurück, und sie runzelte die Stirn. Offensichtlich schien sie in Gedanken alle Mädchen, die in Frage kamen, durchzugehen.
»Wenn es die eine nicht ist, muß es die andere sein, oder ...«, murmelte sie. »Sie würden es mir nicht sagen?«
Er biß die Lippen aufeinander.
»Gut so«, sagte sie. »Nur der Ahnungslose ist glücklich. Das hatten wir schon mal.« Sie räumte die Teller zusammen und stand auf.
Er zog seine Geldbörse hervor, aber sie schüttelte energisch den Kopf. »Machen Sie schon, daß Sie rauskommen. Und viel Glück!«
Sie wartete mit dem Tablett in der Hand, bis er aufstand und ging.
Sie war nicht im Büro. Er betrat die Werkstatt. Die beiden Gesellen verleimten einen Kasten und setzten Schraubzwingen an.
»Ist Katharina ...«
»Hat frei.«
»Und wo ...«
»Keine Ahnung.«
»Der Meister?«
»Heute nicht da. Montag wieder.«
Jakob hob ergeben die Hand (wie einfach Kommunikation sein konnte!), verließ die Werkstatt, ging ums Haus und klingelte am Privateingang. Nichts rührte sich. Die Tür war verschlossen. Schade, mit ihrer Pflegemutter hätte er gern gesprochen. Vielleicht besaß sie einen Schlüssel zu Katharinas Menschenfeindlichkeit. Vielleicht kannte sie die Ursache? Andererseits konnte sich ein möglicher Bund mit Petra Timber auch negativ auswirken. Nein, er hatte sich doch gestern entschieden; er wollte es allein bewerkstelligen, Katharinas Vertrauen und ihre Liebe zu gewinnen. Das war das Rezept.
Der Eingebung folgend, daß man vom Bungalow des Wurstfabrikanten den besten Blick auf das Dorf haben müsse und er Katharina von dort leicht entdecken könne, ging er die Cornelius-van-Grunten-Straße entlang. Vor der Kate an der linken Seite der Auffahrt zu Wilhelm Webers Bungalow sah er den offenen Wagen Sabine Webers stehen. Er wollte ihr nicht und ganz besonders nicht ihrer Freundin, der Frau des Arztes, der Malerin, der Sadistin noch einmal begegnen. Er war gewarnt und würde sich ihr nie wieder ausliefern. Es gelang ihm, über das Erlebnis im Keller der Galerie zu lächeln. Die Malerin würde es kaum noch einmal probieren, sich ihm zu nähern. Wahrscheinlich wußte jeder im Dorf von ihrer perversen Art. Aber möglicherweise war ihr die Begegnung jetzt genauso unangenehm. Die ganz kleine Angst im hintersten Winkel seines Bewußtseins war sicher vollkommen unbegründet. Er beschleunigte seinen Schritt, kam aber gerade in dem Moment zur Kate, als Sabine Weber mit einem großen, flachen Paket, wahrscheinlich einem verpackten Bild, heraustrat und ihn freundlich grüßte.
»Hallo, ich dachte, Sie wären gar nicht mehr hier.« Sie ging vorüber, stellte das Paket auf den Rücksitz des offenen Cabrios, drehte sich um und lehnte sich gegen das Auto, indem sie die Hände hinter sich auf das Blech stützte und lächelnd ihren Oberkörper zurückbog. Mit ihrem weiten gelben Kleid und dem großen Ausschnitt sah sie aus wie ein Model, das für ein Auto warb. Jakob war stehengeblieben, machte einen Schritt zurück, um eine größere Distanz zwischen sich und sie zu legen. Ihre Haltung erschien ihm wie ein unsittliches Angebot. Mit einer winzigen Bewegung schwenkte sie ihren Oberkörper zur Seite und wieder zurück und lenkte ihn ab.
Wieder eine Falle. Heidelinde Wulf war hinter ihn getreten, zog seinen Kopf zurück und kam mit ihrem Gesicht gefährlich nahe.
»Au!« Er wand sich unter dem festen Griff in seinem Haarschopf.
Er befürchtete schon, die Malerin würde ihre Zähne in seinen Hals schlagen oder ihm ein Ohr oder die Nase abbeißen, als sie ihn ebenso abrupt losließ, wie sie zugegriffen hatte. Er stolperte auf die Mitte der Straße.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe«, sagte sie mit gespielt hilflosem Lächeln. »Verzeihen Sie mir, aber Sie haben mir auch einen Schreck eingejagt. Ich dachte, Sie hätten hier nichts mehr zu suchen. Was machen Sie hier?«
Sie wartete keine Antwort ab, sondern stieg zu ihrer Freundin ins Auto. Die beiden fuhren davon, ohne sich umzusehen. Jakob rieb sich die Kopfhaut und spuckte wütend hinter dem Wagen her. Hexen!
Er ging zum Bungalow hinauf. Wer ein solches Haus baute, das mit seinen Säulen, den bis zum Boden reichenden Fenstern, seinem blendenden Weiß sowie seiner Lage einen Gegenpol zum Gutshaus bildete, mußte einer der wichtigsten Männer des Dorfes sein. Ein Mann des Geldes, des Rationalen, ein Mann der modernen Zeit (wenngleich er ohne jeden Geschmack zu sein schien,
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