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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Wahrscheinlich würden Sie mich auslachen, weil ich nicht schon viel früher gemerkt habe, was die Bauern wirklich von mir wollen.« Er schüttelte den Kopf. »Die wollen mir angst machen. Das ist alles. Ich soll mich so sehr vor ihnen fürchten, daß ich flüchte. Ich konnte meinen Vorgänger damals nicht nach seinen Erfahrungen fragen. Vielleicht hatten sie ihn umgebracht, damit er mir nichts erzählen konnte. Wer weiß ...« Er sah den Studenten traurig an.
    »Vergessen Sie Ihr Messer nicht.« Er hob die Hand des Pastors mit dem Messer wieder in die Höhe.
    »Oh, danke.«
    »Es ist mir ein Vergnügen, von einem Geistlichen mit einem Messer bedroht zu werden.«
    »Sie halten mich für verrückt, was? Ich bin es nicht. Ich fange nur an, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen, und das ist auch eine Folge Ihres Hierseins. Ein Fremder verändert die Blickwinkel. Dies ist vielleicht eine noch größere Gefahr für eine so kleine Gemeinschaft. Man kann die Abläufe wieder verlangsamen, aber wenn Sie einmal das Geheimnis eines Vexierbildes entdeckt haben, sehen Sie es immer.«
    Sie hatten den Einstieg in den Brunnen erreicht. Der Pfarrer öffnete den schweren Riegel der beiden eisernen Türen und schwang sie auf. Jakob hätte jetzt flüchten können, doch Rudolf Pedus tat ihm leid. Der bevorstehende Tod seiner Frau schien den Mann Gottes an allem zweifeln zu lassen. Jakob wollte diese Brunnenorgel spielen – so gut wie nur möglich. Er ging voran, schaltete die spärliche Beleuchtung ein, hielt sich an dem als Geländer dienenden Seil fest und tappte die Treppen hinunter, ohne darauf zu achten, ob der Pfarrer folgte. Doch Rudolf Pedus war hinter ihm. Unten auf der kleinen Plattform, die sich zum Brunnenschacht öffnete, erklärte er, daß noch immer ein Blech fehle, sonst alle Hebel aber mit bestimmten Tönen belegt seien – wie bei jedem Piano beginne es links mit den tiefen Tönen, dann ginge es die Tonleiter hinauf. Es sei allerdings kaum möglich, wie bei einem Klavier Akkorde zu spielen, da man beide Hände für das Ziehen eines Hebels brauche. Auch gebe es keine Möglichkeit, den Ton zu dämpfen oder zu stoppen.
    »Mir fallen nur Kinderlieder ein.« Es schien ihm unpassend für eine Sterbende.
    Der Pfarrer hörte ihm nicht zu, bat ihn, noch auszuharren, er würde hinaufgehen, um erst noch das Fenster im Zimmer seiner Frau zu öffnen, und ihm dann, wenn es soweit wäre, oben vom Brunnenrand zurufen.
    Jakob setzte sich auf die Treppenstufen und wartete. Er ging sein Repertoire durch, all die Lieder und Musikstücke, die er sich als kleiner Junge auf dem Klavier hatte aneignen müssen. Es war nichts Geeignetes dabei.
    Als er nach einer halben Stunde noch kein Zeichen bekam, stieg er nach oben. Zu seiner Überraschung war der Ausgang geschlossen und verriegelt. (Dieser Trottel von Pfarrer!) Er rüttelte an den eisernen Türflügeln. Er war abermals gefangen, doch aus einem Brunnen sollte es gelingen herauszukommen. Jakob ging zurück und suchte das Werkzeug, das früher reichlich herumgelegen hatte. Es war nicht mehr da. Rudolf Pedus hatte peinlich aufgeräumt. Jakob sah in dem Brunnenschacht nach oben. Auch die Seile und Leitern waren verschwunden und die Mauern zu glatt, um daran nach oben zu klettern. Nur der Weg nach unten, mittels der eingemauerten Eisenleiter, war frei. Er überlegte, daß der Pfarrer unmöglich sein gesamtes Werkzeug weggeschafft haben konnte. Es mußte irgendwo im Brunnen lagern. Wenn er ein Brecheisen oder eine Metallsäge fand, konnte er vielleicht damit die Tür öffnen. Notfalls gab es vielleicht auch Haken, die er in die Brunnenwand schlagen konnte, um wie ein Bergsteiger nach oben zu klettern. Er erinnerte sich, daß der Pastor etwas von seitlichen Gängen unten im Brunnen erzählt hatte. Vielleicht bewahrte er dort sein Werkzeug und Leitern (Leichen?) oder Gerüste auf?
    Er kletterte hinab, doch je tiefer er kam, um so dunkler wurde es. Die in den Schacht gehängten Bleche verdeckten das von oben kommende Licht. Bald konnte er sich nur noch vorsichtig hinabtasten, schließlich hangelten seine Füße ins Leere. Die Leiter war zu Ende und kein Grund zu erkennen. Im Umkreis der Leiter tastete er jeweils mit einer Hand die Wand ab. Nichts – nur glatte Mauern. Aber es mußte irgendwie weitergehen. Waren nicht zwei Jungen im Brunnen verschollen? Er ließ seine Füße baumeln, hangelte sich weiter nach unten, in der Hoffnung, seine Füße würden Grund finden. Schließlich hing er an der

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