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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Flaschen unter den Arm und ging.
    Jakob lehnte sich gegen die Wand. Ob es nur eine kleine Gruppe war, die von dem Heilwasser wußte, oder alle im Dorf? Trank jeder davon? Auch Katharina? Er versuchte sich zu erinnern, wie die Wirkung von Muskarin in seinen Lehrbüchern beschrieben war. Führte es nicht zu Übererregung und einer Art Herzinfarkt? Eine Frage der Dosierung? Der Fliegenpilzextrakt konnte nicht das einzige Geheimnis des Heilwassers sein. Wahrscheinlich war noch anderes darin. Vielleicht sollte er eine Flasche mitnehmen und von Freunden analysieren lassen. Andererseits schien es dringend geboten, schnell und unbemerkt zu verschwinden. Ob Luise Wischberg ihn verraten würde?
    Plötzlich schwoll der Lärm an. Vielleicht eine Prügelei. Es hörte sich so an, als ginge etwas zu Bruch. Jakob schlich bis zur Tür, öffnete sie ein wenig. Sie führte in die Küche, in deren Mitte ein großer Herd stand. Luise Wischberg lehnte auf der Anrichte vor der Durchreiche. In der Gaststube schien man Stühle und Tische zu zerschlagen und aufeinander loszugehen. Vielleicht eine Wirkung des Heilwassergenusses. Er duckte sich, umrundete die Kochinsel, so daß er von der Durchreiche aus nicht gesehen werden konnte. Bei Luise Wischberg angekommen, hob er vorsichtig seinen Kopf über die Kante des Brettes.
    »Sind Sie verrückt?« zischte sie.
    »Was ist los?«
    »Nichts. Man zertrümmert die Einrichtung.«
    »Das Heilwasser?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Jakob nahm zwei Töpfe von der Spüle, stellte sie vor die Öffnung zur Gaststube und ging, zwischen beiden hindurchlugend, dahinter in Deckung. Mehrere Gäste waren dabei, mit wütenden Gesichtern die Likörvitrine zu zerschlagen. Es war schon nicht mehr viel davon übrig. Der Wirt war nicht zu sehen.
    »Warum machen die das?«
    »Die wollen nur meinen Sohn bestrafen.«
    »Aber warum?«
    »Wenn die aufhören, werden sie sich wieder auf ihren eigentlichen Feind besinnen. Und das sind Sie!«
    »Ich?«
    »Runter!« befahl Luise Wischberg und drückte mit der flachen Hand gewaltsam seinen Kopf unter die Brettkante. In diesem Moment hielten die Männer in ihrer Zerstörungswut inne.
    »Los, verschwinde«, zischte die Mutter des Wirtes.
    »Schon gut.«
    »Steig in dein Auto und fahr, so weit du kannst.«
    Sie drängte ihn mit ihrem Körper zurück. »Und komm so schnell nicht wieder her.«
    »Aber ...«
    »Versuch einfach mal, nur zu überleben.«
    »Ich ...«
    »Schlag dir das Mädchen aus dem Kopf.«
    In der Gaststube herrschte plötzlich vollkommene Ruhe. Dann hörte er die weinerliche Stimme des Wirtes: »Der Student ...«
    Sollte die Wut wirklich ihm gelten? Er duckte sich noch tiefer und verließ auf allen vieren die Küche. Luise Wischberg hatte es gewußt. Aber warum war das so? Was hatte sich gegen ihn aufgestaut? Er war sich keiner Schuld bewußt. Welche Gerüchte hatten zu seiner Verurteilung geführt? Oder war es wirklich nur grundloser Haß auf alles Fremde? Wie auch immer, er floh den dunklen Flur entlang, sprang draußen von der Rampe und hetzte dicht an der Hausmauer entlang zur Straße. Es war niemand zu sehen. Er sprang hinüber zur anderen Seite und versuchte von den Stufen der Bäckerei aus in die Fenster der Gaststube zu sehen. Vielleicht hatten die sich ja schon beruhigt. Es mußte doch auch ein paar besonnene Männer darunter geben. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür der Gastwirtschaft. Er duckte sich, schlich um die Hausmauer in die Einfahrt zur Backstube. Von der Straße kamen laute Rufe. Hatten die ihn gesehen? Das Nachbarhaus gehörte dem Arzt; wenn es ihm gelang, dessen Garten ungesehen zu durchqueren, konnte er über den kleinen dahinterliegenden Feldweg in Höhe seiner Wohnung auf die Straße stoßen.
    Von der Gastwirtschaft kamen immer mehr laute Stimmen. Anscheinend versammelte man sich davor. Jakob kletterte über den Jägerzaun in den Garten des Arztes. Plötzlich hörte er dicht hinter sich eine Stimme: »Ich glaube, er war hier!«

42
    »Ich irre mich doch nicht«, sagte der Pfarrer.
    Der Arzt stand von seinem Schreibtisch auf und ging zum Fenster. »Ich weiß es doch nicht.« Draußen herrschte Finsternis. (Man sollte ihr Fieber messen können.) Einen Stock höher saß seine Frau und wartete auf Auskunft, was der Pastor um die späte Stunde gewollt hatte. (Heidelinde, ich bitte dich, eine Konsultation, natürlich.) Er würde ihr etwas von Rheuma erzählen. Das bekam der Freund von der vielen Arbeit im feuchten Brunnen. Das mußte sie

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